Der Fluch der Schriftrollen
und sah sich um.
Im Schlafzimmer brannte
Licht. Sie näherte sich vorsichtig und blieb im Türrahmen stehen. Ben war
dabei, die Schubladen der Kommode zu durchwühlen. »Was suchst du?« fragte sie.
»Den Reisepaß.«
»Den Paß?«
»Ben hatte einen Reisepaß,
aber ich erinnere mich nicht, wo ich ihn hingelegt habe.«
Judy stellte sich neben ihn
und musterte ihn stirnrunzelnd. »Wozu willst du deinen Reisepaß?«
Ohne aufzusehen, brummte er:
»Um nach Israel zu kommen.« Sie riß die Augen auf. »Israel!«
»Er muß irgendwo hier drinnen
sein.« Und er begann, Haufen von Kleidungsstücken herauszuheben und auf den
Fußboden zu werfen.
»Ben.« Sie legte eine Hand
auf seinen Arm. »Ben, warum willst du nach Israel gehen?«
Er gab keine Antwort. Seine
Bewegungen wurden hastiger, hektischer. »Ich weiß, daß er da drinnen ist!«
»Ben, antworte mir!« schrie
sie.
Endlich richtete er sich auf,
und der vor Wut rasende Blick, den Judy in seinen Augen wahrnahm, jagte ihr
panischen Schrecken ein. »Um nach Israel zu gehen!« brüllte er zurück. »Es wird
dort einen Aufstand geben, und ich muß bei ihnen sein. Ich kann nicht hier in
diesem fremden Land bleiben, während meine Brüder vom Feind erschlagen werden.«
»Erschlagen! O Ben, hör mich
an!«
Er fing wieder an, die
Schublade zu durchwühlen. Judy packte ihn am Arm und rief: »Aber du kannst
nicht nach Israel gehen! Dort wartet nichts auf dich. Dieser Krieg fand doch
schon vor zweitausend Jahren statt. Er ist vorbei, Ben. Er ist vorbei!«
Zweimal versuchte er, ihre
Hand abzuschütteln, doch das dritte Mal ergriff er sie und stieß sie von sich.
»Steh mir nicht im Weg, Frau!«
»Aber Ben…«
Judy versuchte abermals, ihn
festzuhalten, diesmal mit beiden Händen. Doch als sie das tat, drehte sich Ben
jäh zu ihr um, packte sie an den Schultern und schleuderte sie heftig von sich.
Judy taumelte zurück, blieb mit dem Fuß am Bett hängen und stürzte zu Boden.
Sie lag ausgestreckt zu seinen Füßen und blickte erstaunt zu ihm auf. Im
nächsten Moment erstarrte Ben. Er blieb wie angewurzelt stehen und blickte
ungläubig zu Boden. Dann sank er wortlos auf die Knie nieder und streckte in
einer Gebärde der Hilflosigkeit die Hände aus.
»Was habe ich getan?«
stammelte er.
Judy rührte sich nicht,
sondern blieb mit zitterndem Körper und leicht geöffneten Lippen liegen.
Ben starrte sie noch immer
an. Sein Gesicht drückte Bestürzung und Verwirrung aus. »Die Person, die ich
über alles liebte, die Frau, die mir teurer war als mein eigenes Leben und die
ich einmal sogar über die Thora stellte…« Seine Stimme klang belegt und dumpf.
Ben schaute auf seine Hände
hinunter und versuchte zu verstehen, was geschehen war. Und während er so vor
dem stummen Mädchen kniete, überkam ihn ein heftiges sexuelles Verlangen. Und
er wußte, daß es tausendmal stärker war als das, was er damals, vor vielen
Jahren, im Olivenhain verspürt hatte. Er wurde überwältigt von dieser
schrecklichen, brennenden Begierde, diesem plötzlichen heftigen Verlangen, noch
einmal in Sara einzudringen, noch einmal die Gesetze der Thora und den Bund der
Freundschaft mit Saul zu brechen. Als er so vor ihr auf den Knien lag und sie
wie einen Sperling zittern sah, hatte er auf einmal den Wunsch, diesen
wunderbaren Nachmittag von einst noch einmal zu erleben und an nichts anderes
zu denken als daran, diese Frau zu besitzen.
Aber ich darf es nicht, hielt
sein Verstand dagegen, denn sie ist keine freie Frau, und ich bin kein freier
Mann. Es ist ein unmittelbarer Verstoß gegen Gottes Gesetz und eine
Herabwürdigung meiner Freundschaft zu Saul. Und dennoch…
Er starrte weiter auf seine
Hände und zwang sich, nach unten zu sehen, denn er wußte, wenn er einmal zu
Sara aufblickte, würde er sich in der Tiefe ihrer Augen verlieren.
»Ben«, flüsterte eine zarte
Stimme. Sie war schwach und zerbrechlich wie der Körper, von dem sie kam, zart
wie die Frau, die er so abscheulich von sich gestoßen hatte.
Er antwortete nicht. Schauer
der Leidenschaft marterten seinen Körper, und der gepeinigte Mann kämpfte mit
seiner ganz Willenskraft gegen die heftige Begierde an, die in ihm brannte.
Dann ein anderes sanftes Flüstern: »David…« Es war eine einschmeichelnde
Stimme. Eine süße, unwiderstehliche, schüchterne Einladung.
Schließlich gab er auf und
sah sie an. Und der Anblick des kleinen, blassen Gesichtes und der langen,
schwarzen Haare ließ sein Herz fast zerspringen. Nachdem er
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