Der Fluch der Schriftrollen
Daniel: Es wird eine Zeit kommen, da
ein Greuel der Verwüstung herrschen wird und das Königreich Zion
wiederhergestellt wird.
In meiner Abwesenheit hatten
meine Weinberge und Ölpressen mich zu einem noch wohlhabenderen Mann gemacht,
so daß ich selbst viele adlige Familien in Jerusalem an Reichtum übertraf. All
dies verdankte ich meinem Freund Salmonides, der mit den Jahren nicht zu altern
schien und dessen scharfer Verstand nie nachließ. Er verhielt sich auch
weiterhin ehrlich und treu und nahm nie mehr als das ihm zustehende Honorar,
aus dem ihm mit der Zeit ebenfalls ein kleines Vermögen erwachsen war. Wenn ich
ihn pries, winkte er ab und meinte, ich sei der Pfiffige, und er sei nur mein
Verwalter. Wie dem auch sei, als ich ein Alter erreichte, in dem die meisten
Männer voller Stolz einen kleinen Laden ihr eigen nennen oder sich mit einem
Fischerboot zufriedengeben, sprach sich der Reichtum von David Ben Jona
allmählich herum, und ich war ein einflußreicher Mann.
Als Mitglied der Armen teilte
ich sehr viel von meinem Besitz mit der riesigen Glaubensgemeinschaft, die
ständig an Größe zunahm. Neben Jakobus und den Zwölfen predigten nun auch
andere Gefolgsmänner in den Städten und auf dem Land von dem Königreich, das
kommen sollte, und von dem Meister, der bald zurückkehren würde. Und wenn die
Juden allenthalben die Schwerter der Römer erblickten und die Zeloten an
Kreuzen hängen sahen, da wußten sie in ihren Herzen, daß die Endzeit
tatsächlich begonnen hatte. So wuchs unsere Anhängerschaft unglaublich rasch,
bis die Zahl unserer Mitglieder in die Zehntausende ging.
Und während in vielen Häusern
Jerusalems mit Brot und Wein das Abendmahl begangen wurde, während sich immer
mehr Juden taufen ließen und das Glaubensbekenntnis des Neuen Bundes ablegten,
blieb mein Freund und Bruder Saul weiterhin ein Außenstehender.
In mancherlei Hinsicht
erinnerten mich die Diskussionen mit ihm an jene, die ich vor Jahren mit
Eleasar geführt hatte, als Simon dabei gewesen war, mich zu überzeugen. Denn
jetzt führte ich Saul gegenüber Simons Worte im Munde, und aus seinen
Argumenten sprach Eleasar.
»Die Zeit, in der Gott das
Königreich Israel neu errichten wird, ist noch nicht gekommen«, versicherte
Saul. »Was du in dem Buch Daniel gelesen hast, hast du falsch ausgelegt. Die
Zeit, da der Messias von Israel unter uns erscheinen wird, liegt noch in weiter
Ferne.«
Dann zitierte ich ihm Jesaja
und Esra und Jeremia, um ihm zu beweisen, daß meine Auslegung der
Prophezeiungen die richtige sei. »Es sind die letzten Tage, mein Bruder
Saul; du kannst es ja überall sehen. Es sind gewaltige Umwälzungen im Gange.«
Saul schüttelte nur den Kopf. »So war es auch zur Zeit der Makkabäer«,
entgegnete er. »Doch kein Messias kam.«
»Aber diese hier sind
schlimmere Zeiten«, gab ich zu bedenken. Und so gingen unsere Argumente hin und
her. Saul war ein guter Rabbi und im Tempel sehr begehrt. Er war ein frommer
Jude und kannte den Wortlaut des Gesetzes besser als irgendein anderer. Und so
stimmte es mich traurig, daß er nicht an die Rückkehr unseres Meisters glaubte.
Denn dies würde ein glorreicher Tag sein, und Zion würde wieder neu erschaffen.
Es begab sich, daß wir Kunde
von der Feuersbrunst in Rom erlangten, die große Teile der Stadt zerstört und
Krankheit und Hunger über Rom gebracht hatte. Und wir hörten auch, daß unser
alter Freund und Bruder Simon in der Arena hingerichtet worden war, da man ihn
verdächtigt hatte, an der Legung des Feuers beteiligt gewesen zu sein.
Wir von den Armen
versammelten uns in Miriams Haus und sprachen Gebete und sangen Psalmen zum
Andenken an diesen Mann, der einst des Meisters bester Freund gewesen war und
als erster den Messias in ihm erkannt hatte.
Und wir beteten in dieser
Nacht auch, weil wir fühlten, daß der Tod Simons – der seinen Namen in Petrus
geändert hatte – und seines Freundes Paulus nur als Ankündigung der letzten
Tage gedeutet werden konnte. Nun, da Josuas bester Freund um seinetwillen den
Märtyrertod gestorben war wie vor ihm schon Stephanus und Jakobus, der Sohn des
Zebedäus, müßte unser Meister zu seinem Volk zurückkehren und es zum Sieg über
die Unterdrücker führen. Doch es standen uns noch schlimmere Zeiten bevor.
Viele unter den Armen waren Zeloten. Diese Männer gingen nun dazu über, sich zu
bewaffnen. Selbst unter den Essenern, die in der Vergangenheit jegliche
kriegerische Auseinandersetzung abgelehnt hatten, griffen
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