Der Fluch der Schriftrollen
hervor. Vor ihm lag die vertraute Handschrift von
David Ben Jona.
Rebekka war ein scheues,
stilles Mädchen, das sich in meiner Gegenwart oft schüchtern hinter seinem
Schleier versteckte. Ich weiß nicht, wann ich zum erstenmal spürte, daß ich sie
liebte, aber es war ein Gefühl, das immer stärker wurde. Ich weiß nicht, was
Rebekka für mich empfand, denn sie schlug oft die Augen nieder, wenn ich sie
ansah. Für mich war sie wie ein zerbrechliches, kleines Vögelchen, so zart und
kostbar. Sie hatte winzige Hände und Füße und kleine Sommersprossen im Gesicht.
Und wann immer sie mich aus ihren schönen blaßgrünen Augen ansah, glaubte ich,
das Entzücken selbst zu sehen.
Ich hätte in meiner Liebe zu
der sanften Rebekka glücklich sein können, und doch war ich es nicht, denn die
Gedanken an sie machten es mir oft schwer, mich auf mein Studium zu
konzentrieren. Eleasar bemerkte es und gab mir weise Ratschläge. Aber es war
nicht leicht, ihnen zu folgen. Ich war siebzehn und hätte Rebekka liebend gern
zur Frau genommen. Was hätte ich ihr aber bieten können? Ich war arm. Als
Schüler des Gesetzes hatte ich ein bescheidenes Leben zu führen und meine
Freude einzig und allein aus der Ehre zu schöpfen, dem Rabbi dienen zu dürfen.
Meine Kleidung war grob und schlicht. Jedesmal, wenn ich Rebekka sah, versuchte
ich, die ausgefransten Ränder meines Umhangs zu verdecken oder die Stellen zu
verbergen, auf die ich Flicken genäht hatte.
Rebekka schien keinen Anstoß
an meiner Armut zu nehmen, und dennoch war ich mir nicht sicher, ob sie unter
diesen Umständen eingewilligt hätte, meine Braut zu werden.
Ich hatte noch mehrere Jahre
unter Rabbi Eleasar vor mir, bevor ich mein eigener Herr wäre. Und selbst dann,
wenn ich Schriftgelehrter wäre, würde ich erst einmal Zeit brauchen, um das für
eine Verbindung mit Rebekka nötige Geld und Ansehen zu erwerben. Ich erzähle
Dir all dies, mein Sohn, weil es in direktem Zusammenhang zu dem steht, was als
nächstes geschah – ein Ereignis, das möglicherweise den entscheidenden
Wendepunkt meines Lebens herbeiführte. Und danach kam alles, wie es kommen
mußte, bis zu jenem späteren Ereignis, über das Du die Wahrheit erfahren mußt
und das der eigentliche Grund ist, warum ich dies schreibe. Doch im Augenblick
muß ich Dir erst erzählen, was meine Liebe zu Rebekka und meine Armut
bewirkten. In der freien Zeit, die Eleasar uns nun gewährte, führten Saul und
ich ein sorgloses Leben. An einem Nachmittag und an einem Abend pro Woche
durften wir das Studium ruhen lassen. Dann schlenderten wir durch die Straßen
Jerusalems, erforschten die Gärten jenseits der Stadtmauern oder besuchten
Freunde. Während wir uns im Gedränge des Marktplatzes voranschoben, stiegen uns
die intensiven Gerüche von exotischen Speisen, teuren Düften, gegerbtem Leder
und menschlichen Ausdünstungen in die Nase. Außergewöhnliche Anblicke übten
eine magische Anziehungskraft auf uns aus: der Sklavenmarkt, die Stadttore, an
denen täglich Fremde um Einlaß baten, die schönen heidnischen Frauen in ihren
Sänften, Schlangenbeschwörer, Straßenmusikanten und römische Soldaten in ihren
roten Umhängen. Jerusalem mit seinen vielen Gesichtern, Stimmen und Farben
hörte nie auf, uns zu unterhalten. Und doch war ich in Gedanken meist bei
Rebekka. Ich ging so oft mit ihr aus, wie ich konnte, ohne bei ihr Anstoß zu
erregen, denn wir waren nicht verlobt. Und Eleasar sagte oft zu mir: »David Ben
Jona, du darfst dich durch diese Betörung nicht vom Gesetz abbringen lassen.
Wenn du nur ein einziges Mal bei der Befolgung des göttlichen Gesetzes
schwankst, wenn du je in einer solchen Weise davon abkommst, daß du ihm Schande
machst, dann wäre es gerade so, als hättest du auf das Allerheiligste gespuckt.
Denn der Schriftgelehrte steht in einer Hinsicht über allen Menschen: Er ist
auf dieser Erde, um Abrahams heiligen Bund zu schützen und dafür zu sorgen, daß
das auserwählte Volk sich niemals von Gott abkehrt. Wenn du durch deine
Vernarrtheit in Rebekka das Volk im Stich lassen solltest, dann hast du Gott im
Stich gelassen, und das ist unverzeihlich.«
»Aber was kann ich tun,
Rabbi? Ich muß ständig an sie denken. Und wenn ich neben ihr sitze, spüre ich
eine merkwürdige Schwäche in meinen Lenden.«
Er antwortete: »Alle Diener
Gottes werden in ihrem Leben viele Male in Versuchung geführt, und sie müssen
dagegen ankämpfen. Das Einhalten des göttlichen Gesetzes ist keine
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