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Der Fluch der Schriftrollen

Der Fluch der Schriftrollen

Titel: Der Fluch der Schriftrollen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Wood
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ebensowenig wußten wie er, hatte er versucht, sich
aus anderen Quellen Klarheit zu verschaffen.
    »Benjamin Messer, du solltest
dich nicht selbst beflecken, indem du auf die Worte der Nichtjuden hörst«,
hatte ihn einer seiner Jeschiwa-Lehrer ermahnt. »Es genügt schon, zu wissen,
daß sie den Bund, den Abraham mit Gott schloß, entweihten und durch einen
eigenen, falschen ersetzten. Die Lügen der Gojim kann man nur dadurch
bekämpfen, daß man die Thora studiert und ihre heiligen Gesetze einhält.«
    Nirgends war Ben imstande
gewesen, seinen Wissensdurst über den Jesus der Christen zu stillen. Und so
hatte er beschlossen, in der Bibel zu lesen. Im verborgensten Winkel, den er
ausmachen konnte, uneinsehbar für jegliche Juden, die vielleicht zufällig
vorbeikommen mochten, hatte Ben mit der vor sich aufgeschlagenen Bibel in der
öffentlichen Bibliothek gesessen.
    Seine Lehrer und Rabbiner
hatten ihn gelehrt, daß die Thora nur gegen die Gojim verteidigt werden konnte,
wenn man sie auswendig lernte, ihre Gesetze streng einhielt und die
Verunreinigung durch christliche Worte vermied. Aber das hatte Ben nicht
zufriedengestellt, und seine Neugierde hatte ihn dazu getrieben, eine Tat zu
begehen, die seine Lehrer entsetzt hätte. Ben hatte in seinem Innern gespürt,
daß er wissen mußte, was die Gojim überhaupt sagten und woran sie glaubten. Der
Feind mußte ebenfalls studiert werden.
    So hatte Ben in seiner
Neugierde und seinem Drang, zu verstehen, was Juden von Christen trennte, an
einem winterlichen Tag das Neue Testament gelesen.
     
     
    Es klopfte an der Tür, und
eine vertraute Stimme fragte: »Dr. Messer? Sind Sie da drinnen?«
    Er sprang auf und öffnete die
Tür. Davor stand Judy Golden. »Dr. Messer, es ist vierzehn Uhr fünfzehn. Ich
dachte mir, daß ich Sie vielleicht hier antreffen würde…«
    »Was?« Er schaute hinaus zur
Uhr. »Ach du lieber Himmel, wo bin ich gewesen?«
    »Der ganze Kurs wartet
schon…«
    »Gehen wir.« Er schnappte
seine Aktentasche, und sie eilten durch die Halle davon.
    Nachdem er sich bei den
Studenten in fast übertriebener Weise entschuldigt hatte, begann er unbeholfen
mit seiner Vorlesung. Er war völlig unvorbereitet, war aber durch seine
Erfahrung in der Lage, der Stunde den Anschein einer organisierten Vorlesung zu
geben. Sein Blick ruhte ständig auf Judy Golden, die ihn ebenfalls nicht aus
den Augen ließ. Und während er sprach, achtete er genau auf die Uhrzeit.
    Die Post würde bald kommen.
Rolle Nummer sechs würde eintreffen und auf dem Postamt darauf warten, daß er
sie mit dem gelben Zettel abholen käme. David Ben Jona würde wieder einmal zu
ihm sprechen.
    David Ben Jona.
Ben hatte letzte Nacht viel von ihm geträumt. Er hatte sich als David im alten
Jerusalem gesehen, wie er mit Saul und Rebekka durch die Straßen schlenderte.
An warmen Sommerabenden saß er in Magdala bei Rosa Messer, die über einem
offenen Feuer Fisch briet. Im Traum hatte er viele Geschwister und eine
glückliche Kindheit. So wohltuend war diese Vorstellung gewesen, daß Ben
traurig war, als er beim Erwachen feststellte, daß er nur geträumt hatte.
    Nach zwei Stunden, die Ben
wie eine Ewigkeit erschienen, neigte sich die Vorlesung ihrem Ende entgegen. Es
war ihm wirklich nicht leichtgefallen, sich zu konzentrieren, denn immer wieder
hatte er sich dabei ertappt, wie er von David oder seiner Mutter oder seiner
Kindheit in Brooklyn träumte. Es kostete Ben viel Kraft, in der Gegenwart zu
bleiben. Und als die Stunde schließlich um war, packte er seine Aktentasche und
eilte hinaus zu seinem Auto, noch bevor einer seiner Studenten aufgestanden
war.
     
     
    So hatte der vierzehnjährige
Benjamin Messer in seinem Bemühen, zu verstehen, warum die Gojim ihn haßten,
ohne ihn überhaupt zu kennen, das Neue Testament gelesen.
    Am Anfang war es sehr
verwirrend gewesen, denn die ersten vier Abschnitte, die als Evangelien
bezeichnet wurden, stimmten nicht genau überein. Sie schienen sich in vielen
Punkten zu widersprechen. Der Teil, der den Titel »Die Apostelgeschichte« trug,
war ihm als eine interessante Geschichtsdarstellung erschienen. Doch die daran
anschließenden Briefe, die zur Offenbarung führten, beinhalteten keine
weitergehende Auskunft über den Mann, den man Jesus nannte. Und so mußte sich
Ben einzig und allein auf die vier Evangelien verlassen, in denen er aber trotz
seines ernsthaften Bemühens die Grundlage für eine der größten Religionen der
Welt nicht erkennen konnte. Daß

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