Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Fluch der Schriftrollen

Der Fluch der Schriftrollen

Titel: Der Fluch der Schriftrollen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Wood
Vom Netzwerk:
besser
gehen.«
    »Oh, natürlich.«
    Sie stand auf und sah sich
nach ihrer Tasche um. »Danke für die Pizza«, sagte sie mit fester Stimme. »Das
war sehr nett von Ihnen.«
    Ben holte ihren Pullover, der
inzwischen getrocknet war. Als er ihr beim Hineinschlüpfen behilflich war,
meinte er: »Ich teile es Ihnen mit, sobald ich Rolle Nummer sechs bekomme.«
    »Gut.«
    Er öffnete seinen
Garderobenschrank und zog seine Jacke heraus. »Ich begleite Sie zum Wagen. Man
kann nie wissen, wer sich um diese Zeit draußen herumtreibt.«
    In melancholischem
Stillschweigen gingen sie die Treppe hinunter und traten auf die nasse Straße
hinaus. Judy kickte beim Laufen braune Blätter vor sich her und hatte das
Gefühl, viel länger als nur einen Abend mit Ben Messer zusammengewesen zu sein.
An ihrem Wagen standen sie in dem leichten Dunst und versuchten, die richtigen
Abschiedsworte zu finden. Es war kein x-beliebiger Besuch gewesen – viel war
gesagt und viel offengelegt worden. Jetzt teilte Judy Golden Bens Geheimnisse.
Sie stand nicht mehr außerhalb seines Lebens.
    Er war einen Kopf größer als
sie und mußte deshalb nach unten sehen, um ihr zuzulächeln. Tröpfchen sammelten
sich auf seinen Brillengläsern und behinderten seine Sicht, aber er konnte
erkennen, daß sie zurücklächelte. Sie verstanden sich wortlos.
    Schließlich murmelte sie:
»Gute Nacht« und stieg ins Auto. Er trat zurück, als sie den Motor anließ, und
winkte ihr nach, als sie abfuhr. Während er ihre Rücklichter allmählich
verschwinden sah, flüsterte Ben: »Schalom« und ging langsam in seine Wohnung
zurück.

 
    Kapitel Neun
     
     
     
    Ben fühlte sich elend, als er
am nächsten Morgen erwachte. Er war noch lange, nachdem Judy gegangen war,
aufgeblieben und hatte den Rest des Weines ausgetrunken. Dann hatte er sein
Gesicht in den Händen vergraben und lange Zeit geweint. Als es ihm irgendwann
nach Mitternacht einfiel, daß er in sechzehn Jahren nicht eine Träne mehr
vergossen hatte, während er heute gleich zweimal geweint hatte, sank Ben in
einen unruhigen Schlaf. Wieder verfolgten ihn merkwürdige Träume, in denen er
wechselnde Rollen spielte: zuerst sich selbst, dann David, anschließend seinen
toten Vater und zum Schluß seinen toten Bruder. Immer neue schreckliche
Erinnerungen kamen in ihm hoch. Je mehr ihm davon in den Sinn kamen, desto
schneller folgten andere auf dichtem Fuß nach. Die ganze Strategie des
Verdrängens seiner schmerzlichen Vergangenheit war jetzt plötzlich zunichte
gemacht. Aus irgendeinem Grund konnte Ben die Vergangenheit nicht länger daran
hindern zurückzukommen. Um zehn Uhr hielt er eine Vorlesung über klassisches
Griechisch als Hilfe für den Archäologen. Ben zeigte Dias und sprach dazu mit
eintöniger Stimme. Die meiste Zeit war er völlig geistesabwesend. Er dachte
fortwährend an David zu Eleasars Füßen in Salomons Tempel; an David, der für
die Witwe Wasser trug; an Eleasars tiefe Zuneigung zu seinem jüngsten Schüler;
an Rebekka…
    Später in seinem Büro dachte
Ben hinter verschlossener Tür inmitten einer Wolke aus Pfeifenrauch an seine
Vergangenheit. Vor einundzwanzig Jahren, als er und Salomon durch den braunen
Schneematsch von Brooklyn gestapft waren, hatten ihnen die halbwüchsigen Söhne
polnischer Einwanderer nachgerufen: »Wir werden’s euch zeigen, ihr
Jesus-Mörder!«
    An jenem Abend, als sie am
Küchentisch ihr einfaches Mahl einnahmen, hatte Ben seine Mutter gefragt, was
die polnischen Jungen damit gemeint hatten. Seine Mutter hatte Gabel und Messer
sinken lassen und ihren Sohn müde angeschaut. »Die Gojim verehren einen toten
Juden als Gott, Benjamin, und sie sagen, wir hätten ihn umgebracht.«
    »Wo ist das passiert? In
Polen?«
    Ein schmerzliches Lächeln
zeigte sich auf ihrem Gesicht. »Nein, Benjamin. In Polen waren es die Juden,
die von den Gojim ermordet wurden. Der Mann, von dem sie sprechen, lebte vor
vielen hundert Jahren. Die Römer haben ihn gekreuzigt, weil er die Stimme gegen
Cäsar erhoben hatte. Aber irgendwie«, sie schüttelte traurig den Kopf, »wurde
die Geschichte im Laufe der Zeit verdreht, und den Juden wurde statt dessen die
Schuld zugeschrieben.« Ben hatte die Jesus-Geschichte nie zuvor gehört und
fragte sich, was eigentlich so Besonderes an ihm sei, daß Millionen von
Christen daran glaubten. Rosa Messers Kenntnis war spärlich, und sie sah diese
Dinge ohnehin verzerrt. Da Ben keine nichtjüdischen Freunde hatte und da seine
eigenen Freunde von Jesus

Weitere Kostenlose Bücher