Der Fluch des Denver Kristoff
haben.
Und von der Frau war weit und breit nichts zu sehen.
Seit ihrer Ankunft war die Sonne ein Stück weiter gewandert. Der Schatten des Hauses fiel jetzt auf die Stelle, wo sie den Steinengel entdeckt hatten. Ob dort wirklich etwas war, konnte man von hier aus nicht sehen.
»Brendan …? Ist was passiert?« Cordelia musterte ihn besorgt, sie sah ihm an, dass er halb durchgedreht war vor Angst. Brendan wollte schon zu einer Erklärung ansetzen – doch dann schwieg er. Es hatte ja doch keinen Sinn. Er konnte nichts beweisen. Er würde sich nur wieder lächerlich machen.
»Nichts«, sagte er. »Alles in Ordnung, ich wollte nur … ich dachte, ich hätte das hier verloren.«
Er zog seine PSP aus der Tasche und schaltete sie sofort an. Noch nie hatte er sich so gefreut, die Startseite von Uncharted zu sehen. Endlich war er wieder in einer Welt, die er verstand und die er im Griff hatte. Erleichtert ließ er sich auf den Rücksitz fallen.
Auf der Rückfahrt passierte etwas Seltsames mit ihm: Mit jeder Sekunde, die sie sich von dem Haus in der Sea Cliff Avenue entfernten, verlor die unheimliche Begegnung ihren Schrecken. Eine in Lumpen gekleidete Frau, barfuß, mit schlechten Zähnen … wahrscheinlich eine Obdachlose. Nach einer Weile war er sich ganz sicher: Na klar, die Frau lebte dort auf dem verlassenen Grundstück. Deshalb war der Preis so niedrig. Sie hatte die Walkers heimlich beobachtet und sich dann versteckt, als die Kinder sie entdeckt hatten – das erklärte auch den vorbeihuschenden Schatten, den Eleanor gesehen hatte. Die Frau schien sehr an diesem Steinengel zu hängen – vielleicht war sie geistig verwirrt und unterhielt sich mit ihm, wenn sie allein war. Als sie gemerkt hatte, wie Brendan und seine Schwestern sich für den Engel interessierten, hatte sie ihn weggetragen (wie auch immer sie das geschafft hatte) und irgendwo in Sicherheit gebracht. Dann hatte die Alte die Gelegenheit genutzt und sich an Brendan herangeschlichen, um ihn zu erschrecken und die Familie zu vergraulen. Und nach seinem Namen hatte sie ihn gefragt, weil sie … na ja, weil sie eben verrückt war! Was für einen Grund hätte sie sonst haben sollen?
Das redete Brendan sich ein, während er wie hypnotisiert dem Spiel auf seiner Konsole folgte. Bald war er felsenfest davon überzeugt, dass die alte Hexe weder gefährlich noch eine übernatürliche Erscheinung (ist ja lächerlich!) war. Er war sogar wild entschlossen, zurückzufahren und die Alte vom Grundstück zu vertreiben. Ein Brendan Walker ließ sich nicht herumschubsen. Immerhin hatte er es fast schon in die Lacrosse-Juniorauswahl geschafft.
8
S eit dem »Vorfall« wohnten die Walkers zur Miete. Das neue Apartment war viel kleiner als ihr altes Haus, vor allem die Küche, die eigentlich nur eine Kochecke war. Das bedeutete, dass weniger zu Hause gekocht und dafür – zur Freude der Kinder – das Essen aus günstigen Schnellimbissen geholt wurde. Nach der Besichtigung der Villa Kristoff waren sie kurz beim Chinesen vorbeigefahren und zu Hause hatte Dr. Walker einen Familienrat im Wohnzimmer einberufen.
»Warum das denn?«, fragte Brendan.
»Ich möchte nur sichergehen, dass ihr alle mit unserer Entscheidung, die Villa Kristoff zu kaufen, einverstanden seid.«
»Du meinst wohl eure Entscheidung. Uns hat ja keiner gefragt«, bemerkte Brendan.
»Okay«, sagte Dr. Walker. »Aber wenn ihr ein Problem damit habt, dann solltet ihr es jetzt sagen.«
»Wenn wir da einziehen, müsste es doch Villa Walker heißen, oder?«, fragte Eleanor.
»Ich finde, wir sollten vorerst bei Sea Cliff Avenue hundertachtundzwanzig bleiben, seiner eigentlichen Adresse«, schlug Mrs Walker vor. »Sonst klingt es, als würden wir in ein Haus einziehen, das jemand anderem gehört.«
Es gehört jemand anderem, dachte Brendan, es gehört einer alten kahlköpfigen Hexe . Aber niemand sollte denken, er hätte vor irgendetwas Angst. »Ich finde das Haus eigentlich ganz okay. Jedenfalls besser als dieses Loch hier.«
»Mir gefällt es auch«, sagte Eleanor. Dabei versuchte sie, mit einer in reichlich Soße getauchten Frühlingsrolle so viel Karotten-Sellerie-Salat wie möglich aufzuschaufeln. Die Frühlingsrolle sah aus, als trüge sie eine Perücke. »Je schneller wir da einziehen, desto eher können wir Misty haben.«
»Nell, wie oft müssen wir das noch durchkauen …«
»Aber Mom hat gesagt, ich darf ein Pferd haben. Ich habe mir doch schon überlegt, wie es aussehen soll
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