Der Fluch des Denver Kristoff
schwarzen Stein und hielt den Kopf leicht nach oben gereckt, als wollte es gerade nach einem Insekt schnappen. Es war eines der gruseligsten Dinge, die Brendan je gesehen hatte … aber er hatte keine Angst. Zum Beweis machte er mit seinem Handy ein Foto von dem Skelett.
»Brendan, bitte deine Schwester sofort um Entschuldigung!«, rief Mrs Walker nach oben.
»Ja genau, Bren, komm sofort runter!«, echote Eleanor.
Das war mal wieder klar: Jetzt hatte er sich ausnahmsweise einmal nicht erschrecken lassen und dann war niemand da, den er damit beeindrucken konnte. Als er die Leiter herunterkletterte, funkelte Cordelia ihren Bruder wütend an.
»Tut mir leid«, sagte er. »Ich wollte dich nur ärgern. Aber guck mal hier, was ich da oben gefunden habe! Ich habe ein Foto …«
Cordelia entriss ihm das Handy und löschte das Foto.
»He, was soll das!«
»Jetzt sind wir quitt.«
»Du hättest es dir wenigstens angucken können!«
Diane rang sich ein gezwungenes Lächeln ab. »Können wir unsere kleine Besichtigung jetzt vielleicht fortsetzen?«
Als sie weitergingen, fiel Eleanor ein Knopf auf, der in einer kleinen Nische aus der Wand ragte. »Was ist das?«
»Nichts Besonderes, nur ein alter Speisenaufzug«, erklärte Diane kurz angebunden.
An der kleinen Wendeltreppe, die wieder nach unten führte, verkündete die Maklerin: »So, das war’s.« Sie warf einen langen Blick durch das Erkerfenster hinunter auf den gebrauchten Toyota der Familie, bevor sie sich wieder an Dr. Walker wandte. »Sie haben die entscheidende Frage noch nicht gestellt.«
»Ja, der Kaufpreis«, sagte Dr. Walker leicht gequält. Insgeheim hatte er, genau wie Cordelia, laut Beschreibung der Maklerin bei »rustikal« und »charmant« eher ein renovierungsbedürftiges Haus vor Augen gehabt, das sie sich vielleicht leisten konnten. Aber mit einem zweistöckigen viktorianischen Herrenhaus mit ausgebautem Dachgeschoss, kompletter Ausstattung, inklusive Bibliothek und Aussicht auf die Golden Gate Bridge, hatte er nicht gerechnet. Das hier war mindestens eine Fünf-Millionen-Dollar-Immobilie.
»Die Preisvorstellung der Verkäufer liegt bei dreihunderttausend«, sagte Diane.
6
B rendan sah den ungläubigen Ausdruck, der sich auf dem Gesicht seines Vaters ausbreitete. Doch Dr. Walker hatte sich erstaunlich schnell wieder unter Kontrolle und schlug sofort einen geschäftlichen Ton an. Es tat gut, ihn endlich wieder so zu erleben. Brendan kannte diesen Tonfall noch aus der Zeit, als sein Vater häufig Interviews gegeben oder andere Chirurgen beraten hatte. Seit dem »Vorfall« vor gut einem Monat hatte Dr. Walker allerdings wenig Gelegenheit gehabt, diese Art von professionellen Verhandlungen zu führen. Jetzt aber klang er wieder wie früher: selbstbewusst und entschlossen.
»Miss Dobson, wir nehmen das Haus. Setzen Sie doch bitte den Kaufvertrag auf, ich möchte die Sache so schnell wie möglich unter Dach und Fach bringen.«
»Wunderbar!« Diane klappte ihren silbernen Aktenkoffer auf und überreichte Dr. Walker ihre Visitenkarte. Mrs Walker fiel ihrem Mann um den Hals. Eleanor fragte verwirrt: »Was bedeutet das? Kriegen wir das Haus? Werden wir hier wirklich wohnen?«
»Warum ist es so billig?«, warf Brendan ein.
»Bren!«, zischte Mrs Walker.
»Aber Mom! Dieses Haus soll genauso viel kosten wie eine Wohnung? Sogar weniger? Daran ist doch bestimmt was faul!«
»Schon in Ordnung, die Wissbegierde Ihrer Familie gefällt mir«, beruhigte Diane Mrs Walker. »Es ist so, Brendan, die Besitzer versuchen, ihre Geldanlagen zu verflüssigen. Wie so viele Familien befinden sie sich momentan in einer etwas schwierigen Lage und sie sind bereit, einen geringeren Kaufpreis zu akzeptieren – insbesondere, wenn es darum geht, anderen in einer schwierigen Situation zu helfen. Ihnen ist sicher aufgefallen, dass vor dem Haus kein Verkaufsschild steht. Die Besitzer wollen nicht an irgendeine Familie verkaufen, sie suchen nach der richtigen Familie. Einer bedürftigen Familie.«
Sie lächelte milde. Brendan konnte auf ihr Mitleid verzichten. Wenn es nur um ihn ginge, wäre ihm das egal gewesen, damit konnte er leben. Aber ihr Mitleid ergoss sich über die ganze Familie. Und alles nur wegen seines Vaters. Brendan schämte sich furchtbar für ihn. Warum musste er seine Probleme immer in der verkehrten Reihenfolge lösen: Sein Vater versuchte, seinen guten Ruf wiederherzustellen, indem er ein beeindruckendes Haus kaufte, um damit wiederum einen hoch bezahlten
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