Der Fluch des Denver Kristoff
Stimme.
»Dah-lia! Was. Hast. Du. Getan?«
Das Zentrum der Wolke verdichtete sich zu einer schwarzen Gestalt mit orange glühenden Augen.
»Vater?«, fragte Dahlia.
»Nenn mich nie wieder so!«, brüllte die Gestalt sie an. »Ich bin der Sturm könig!«
73
E leanor war von der furchtbaren Erscheinung wie gelähmt; keinen Ton brachte sie heraus. Sie schaffte es weder, sich abzuwenden, noch, die Augen vor dem schrecklichen Bild zu verschließen. Kaum vorstellbar, dass dieses Wesen jemals Denver Kristoff gewesen sein soll.
Der Sturmkönig hatte ein verzerrtes, violett schimmerndes Gesicht, über seinen Wangenknochen spannte sich die Haut wie gehärtetes Kerzenwachs. Das konnten sie erst richtig erkennen, als er in einem schwarzen Wolkenwirbel, der seinen Körper verhüllte, herabschwebte. Blaue Blitze wie Spinnenbeine begleiteten ihn. Seine Lippen wirkten unnatürlich in die Länge gezogen, der eine Mundwinkel zeigte nach oben, der andere nach unten, eine halb grinsende, halb grimmige Fratze. Eleanor fiel wieder ein, dass Penelope ihren Hausherrn Denver Kristoff genau so beschrieben hatte, wobei sich der Sturmkönig im Laufe der Jahre offensichtlich nicht zu seinem Vorteil verändert hatte. Der Zerfall war deutlich fortgeschritten. Kristoffs Nase bestand nur noch aus zwei schlaffen Hautlappen, die über seinen Lippen hingen. Das eine seiner orangefarbenen Katzenaugen saß ein Stückchen höher als das andere, beinahe auf der Stirn …
Das einzig Menschenähnliche an ihm war der Ausdruck in seinen Augen, als wäre der alte Denver Kristoff in der äußeren Hülle des Sturmkönigs gefangen. Er schien sich seiner Hässlichkeit durchaus bewusst zu sein.
»Was ist denn mit Ihnen passiert?«, rief Brendan, nicht bereit, sich geschlagen zu geben, obwohl er vor Schmerzen kaum noch Luft bekam. »Auf den Fotos sahen Sie ja doch noch richtig ansehnlich aus … die Frauen müssen damals ganz verrückt nach Ihnen gewesen sein! Viel ist davon ja nicht mehr übrig geblieben, Sie sind nur noch ein einziger hässlicher – aaah!«
Aus den Händen des Sturmkönigs schoss ein greller Blitz. Brendan schrie vor Schmerz, während der Blitz um seinen Kopf herumzuckte und tanzte. Das Bild, das er hinterließ, als er wie von Zauberhand wieder verschwand, war grausig …
Brendan sah aus wie ein Abbild des Sturmkönigs.
»Oh … nein … nein …«, keuchte Brendan, als er in einem glänzenden Metallstück einen Ausschnitt seines Spiegelbilds erblickte. »Was haben Sie mit mir gemacht? Ich will mein altes Gesicht wiederhaben!«
»Ich sehe so aus, weil ich zu oft mit der Macht des Buches gespielt habe«, sagte der Sturmkönig, »aber dir gebe ich es umsonst. Du scheinst mit einem Fuß im Grab zu stehen … wie heißt es so schön, ›Jung sterben und eine hässliche Leiche hinterlassen‹?«
»Neiiiin!«, schrie Brendan und bedeckte sein Gesicht mit den Händen, nur um sie sofort wieder sinken zu lassen, weil die Veränderung der Haut sich gruselig anfühlte.
Doch der Sturmkönig beachtete ihn nicht länger, sondern wendete sich der Windfurie zu. Die wedelte wild mit den Händen und versuchte verzweifelt, eine Windbö zu erzeugen, die ihren Vater vom Schiff fegen sollte.
»Närrin!«, donnerte der Sturmkönig.
Zwei blaue Blitze zuckten aus seinen Fingerspitzen und warfen seine Tochter aufs Deck. Eleanor saß geduckt hinter einem Fass und beobachtete die Szene mit schreckgeweiteten Augen.
»Warum kannst du nicht endlich aufhören, diesem verfluchten Buch hinterherzujagen?«, tobte der Sturmkönig. »Sieh mich an! Mein Gesicht ist nur ein Spiegelbild dessen, was das Buch mit meiner Seele angerichtet hat! Willst du etwa so werden wie ich?«
Der Sturmkönig riss die Hände hoch; die Wolkenhülle teilte sich und entblößte seinen Oberkörper.
Eleanor würde diesen Anblick nie vergessen: Kristoffs Brust erinnerte an ein weiches Stück Gorgonzola mit extra viel Schimmel. Seine Haut hatte tiefe Löcher, der Rest war übersät mit nässenden Wunden. Bläuliche Funken, begleitet von blutigen Rissen zuckten über seinen geschundenen Körper.
»Dieses Buch vermag dir zwar alles zu geben, wonach du verlangst«, sagte Kristoff, »doch dafür zahlst du einen furchtbaren Preis. Sieh mich an!«
»Du bist immerhin noch am Leben«, erwiderte die Windfurie, während sie versuchte, ihre Augen vor seinen grellen Blitzen abzuschirmen. »Aber ich bin dabei zu sterben! Mit gewöhnlicher Magie schaffe ich es nicht mehr, mich in Gang zu halten. Wenn
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