Der Fluch des Denver Kristoff
nicht von herumfliegenden Gesteinsbrocken erschlagen zu werden. Die Windfurie stieß ein schrilles Gelächter aus und pustete die Steine weg, als wären es Brotkrümel. Platzender Mörtel brachte den ganzen Turm zum Wackeln.
Dann fehlte über ihren Köpfen plötzlich die Turmspitze, die Walkers sahen nur noch Dick Jaggers Gesicht vor sich und dahinter den freien Himmel.
»Rrrrrr!«, befahl Jagger und hielt ihnen die flache Hand hin, während die Turmspitze krachend unten im Burghof aufschlug.
»Kommt schnell!«, rief Eleanor und sprang als Erste auf die Hand des Riesen. Ihre Geschwister folgten und innerhalb weniger Sekunden hatte Jagger die drei von dem halb zertrümmerten Turm fortgetragen.
Die Kinder schmiegten sich in seine Handfläche und blickten hinunter in den zerstörten Burghof und die angrenzende Schlucht direkt daneben. Tief unter ihnen auf dem blaugrün schimmernden Fluss lag die Muräne. Sie war mit Tauen an ein schmales Stück Dach und einen Schornstein gebunden. Wie ein Haufen aufgeschreckter Ameisen ergriffen die Piraten die Flucht.
»Seht mal, da unten, die Villa Kristoff!«, rief Brendan. »Sie ist immer noch nicht ganz untergegangen.«
Viel Zeit, den Ausblick zu genießen, blieb ihnen allerdings nicht. Die Windfurie kam wutschnaubend aus dem zerfallenen Turm geschossen und kreischte hinter ihnen her: »Der riesenhafte Kretin wird euch jetzt auch nicht mehr helfen!«
»Das ist Mobbing!«, schrie Eleanor zurück, sie wusste zwar nicht, was ein Kretin war, aber es klang gemein.
Plötzlich hatte die Windfurie sie überholt und flog mit kräftigen Flügelschlägen direkt vor ihnen her. Gleichzeitig richtete sie ihre falschen Hände nach unten auf den Fluss. Der gehorchte ihr aufs Wort. Das Wasser sprudelte und schäumte immer höher und wurde zu einer wirbelnden Wasserhose, die sich durch die Lüfte bis zu den Händen der Windfurie schlängelte. Jagger ließ sich von dem seltsamen Anblick für einen kurzen Moment ablenken … und in der nächsten Sekunde ergossen sich die Wassermassen in einem mächtigen Schwall wieder auf den Boden – in Form von Eiswürfeln!
Die riesigen Eisquader schossen auf Jaggers Füße zu, wickelten sich um seine Knöchel und erstarrten zu Fußfesseln aus Eis. Der Koloss geriet gefährlich ins Schwanken.
»Nein, Jagger! Nicht fallen!«, flehte Eleanor, doch es war bereits zu spät. Der Riese kam in eine bedrohliche Schieflage. Im ersten Augenblick erinnerte er an den Schiefen Turm von Pisa. Dann konnte er sich nicht länger halten und kippte um.
Schützend schloss er seine Finger um die Walker-Geschwister, um sie herum wurde es dunkel. Die Kinder wurden in seiner Faust hin und her geschleudert und spürten eine erdbebenartige Erschütterung, als der riesige Körper auf die Burgmauern von Corroway donnerte.
Doch die wilde Fahrt ging weiter, immer weiter runter, wie in einem Fahrstuhl, der in die Tiefe stürzt. Bis sie von draußen ein lautes Platschen hörten.
Langsam öffnete Jagger seine Hand und die Geschwister taumelten benommen heraus. Um sie herum erhoben sich die steilen Felswände der Schlucht. Jagger lag stöhnend neben ihnen im Flussbett und spuckte Wasser.
»Wir sind auf der Muräne!«, rief Cordelia aus, als sie die Holzplanken unter den Füßen spürte.
»Oh Mann, ich hätte nie gedacht, dass ich jemals so froh sein würde, wieder auf dem alten Kahn zu landen«, stöhnte Brendan.
»Seht mal!« Eleanor zeigte nach oben zum Himmel, wo die Steinkiste, in der das Buch des Verderbens und Verlangens gelegen hatte, durch die Luft segelte.
»Walkers!«, kreischte die Windfurie.
Auf einer selbst erzeugten Luftsäule, die ihren Fall bremste, schwebte sie zu ihnen herunter. Im Nu hüllten die fauligen Ausdünstungen ihrer Flügel das Schiff ein. Vor dem Hintergrund der schroffen Felswände sah sie aus wie eine antike Gottheit.
Die Steinkiste landete hochkant auf dem Deck der Muräne . Eleanor beugte sich über die Reling und rief dem halb unter Wasser liegenden Riesen zu: »Jagger! Bring dich in Sicherheit! Versteck dich!«
Jagger nickte, holte so tief Luft, dass die Geschwister einen kräftigen Sog spürten, und tauchte unter. Mit dem ansteigenden Wasserspiegel des Flusses hob sich auch das Schiff. Wie ein dunkler Schatten erstreckte sich der riesige Körper unter der Muräne .
»Ihr Narren«, höhnte die Windfurie, als sie in sicherer Entfernung von der steinernen Schatulle auf dem Schiff gelandet war. »Kapiert ihr immer noch nicht, dass ich euren
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