Der Fluch des Florentiners
fest, dass sie mit ihrer Frage zu weit gegangen war. Sanjay wirkte plötzlich abweisend. Er bat sie, zum Auto zurückkehren zu können. Angeblich fror er. Sie glaubte ihm nicht.
» Habe ich etwas Falsches gesagt? «
» Nein, das hast du nicht. Nichts von dem, was du sagst, kann falsch sein, denn es kommt tief aus deinem Inneren. Alles ist in Ordnung. Es ist nun einmal deine Aufgabe, den Florentiner zu suchen. Ich suche ihn auch. Wo die beiden Sancys derzeit sind, wissen wir nicht. Du bist beruflich daran interessiert, das zu ergründen, versuchst, diese Edelsteine zu finden. Oder zumi n dest dazu beizutragen, dass sie gefunden werden. Damals in Berlin habe ich dir schon gesagt, dass ich glaube, dass die göttliche Fügung uns einen wird. Deshalb verstehe ich auch, dass du wissen möchtest, wer sich hinter dem Namen Ostier verbirgt. Nein, alles ist in Ordnung, Marie-Claire. Ic h b in nur sehr müde und würde mich gerne ein wenig auszuruhen. Wenn ich nicht zu sehr störe, können wir uns zum Abendessen in eurem Schloss treffen. Ich würde gerne das Zimmer sehen, in dem Karl der Kühne einst nächtigte. «
Gegen fünf Uhr am Abend erreichten sie Schloss Vaumarcus. Während Sanjay ins Tal fuhr, stieg Marie-Claire die Treppen hinauf zu ihrem Zimmer. Die ganze Zeit über war sie das Gefühl nicht losgeworden, dass sich ein Schatten über Sanjays und ihr Verhältnis zueinander gelegt hatte. Misstraute er ihr? Sie betrat das Zimmer Charles le Téméraires. Christiane saß vor dem Kamin und las.
» Hallo, Glücksgöttin! Komm bloß nicht auf die Idee, mir jetzt von romantischen Spaziergängen am See zu erzählen! Dann stürze ich mich nämlich aus dem Fenster vor Eifersucht! Ist das ein Mann! Für den schmeiße ich alles hin! Ich reiße mir die Kleider vom Leib und offeriere mich als seine treue Dienerin, wenn es sein muss. Ohne Fragen zu stellen. Seit heute weiß ich, dass es diese Märchenprinzen aus dem Morgenland wirklich gibt. Mein Neid ist mit dir, meine Liebe! Also sei gewarnt: Wenn du den vergraulst, werfe ich mich ihm sofort an den Hals – wenn er mich denn haben möchte. «
Marie-Claire musste lachen. Chrissie meinte all das sehr ernst. Ohne auf ihre Bemerkungen einzugehen, suchte Marie-Claire ihr Handy, das sie im Zimmer hatte liegen lassen. Sie fand es im Bett.
» Ach übrigens «, wandte sich Christiane nochmals an sie, » seit mehr als zwei Stunden klingelt das Ding da im Abstand von zehn Minuten. Vielleicht ist es dein Lover aus Marrakesch. Oder der reumütige Gregor! Mein Gott, deine Sorgen möchte ich auch mal haben. Gleich drei Männer … «
Als Marie-Claire de Vries auf ihr Handy schaute, zeigte die Uhr auf dem Display drei Minuten nach fünf an. Laut Anrufspeicher war der letzte Anruf vor einer Viertelstunde eingegangen. Es war eine Wiener Nummer, die sie nicht kannte. Ihr Interesse galt jedoch im Moment einzig diesem geheimnisvollen Namen Ostier. Sie schaltete den Laptop ein und wählte sich über das Handy ins Internet ein. Es dauerte lange, bis sie über die Kombination mehrerer Suchbegriffe fündig wurde. War das eine neue heiße Spur? Zeichnete sich hier ab, was mit dem Florentiner geschehen war, nachdem der österreichische Kaiser den Diamanten mit 1,2 Millionen Franken beliehen hatte und das Geld nicht hatte zurückzahlen können, weil er nach Madeira verbannt worden war? Wer hatte diesen wertvollen Diamanten als Sicherheit erhalten? Und was war dann mit ihm geschehen? War der Name Ostier der Schlüssel zu diesem Geheimnis? Ein Schlüssel, der vielleicht sogar dazu führen konnte herauszufinden, wer den Florentiner heute besaß? Hatte Sanjay deswegen gezögert, ihr mehr über diese Ostiers zu sagen?
Marie-Claire merkte, dass sie aufgeregt war. Hastig überflog sie die wenigen Fundstellen und die Querverweise im Internet, die sie nach der Eingabe von » Ostier + Juwelier « erhalten hatte. Ihr Herz pochte schnell. Der Name Ostier war selten. Dann erstarrte sie. Da gab es eine Marianne Ostier, zweite Ehefrau des Wiener Juweliers Otto Österreicher. Er hatte ein Geschäft im ersten Bezirk von Wien, Graben 7 gehabt – nur wenige Schritte von der Hofburg und von der Schatzkammer entfernt! Und er war in dritter Generation Hofjuwelier gewesen! Also ein auserwählter Juwelenhändler mit direktem Zugang zur Hofburg – zur österreichischen Kaiserfamilie! Er war Jude, der sich aus Angst vor den Nationalsozialisten i n O liver Ostier umbenannt hatte und später nach New York ausgewandert war, wo
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