Der Fluch des Florentiners
Frage war. Sanjay wich ihr nicht aus. Fast mystisch lächelte er sie an. » Marie-Claire, warum sollten wir uns mit taktischen, von Misstrauen bestimmten Spielchen das Leben schwer machen? Sie wissen ebenso wie ich, dass wir von den seit Jahrhunderten als der Große und der Kleine Sancy bezeichneten Steinen sprechen. Und die wurden leider vor kurzem geraubt! Der Fluch bewahrheitet sich also. Der Fluch des Florentiners wird die Räuber einholen. Dessen bin ich mir absolut sicher. Ich ahne, aber ich weiß noch nicht ganz sicher, wo die Diamanten jetzt sind. Und ich glaube und hoffe, Marie-Claire, dass Sie mir dabei helfen werden, die Tränen Gottes, die göttlichen drei Brüder, wieder nach Indien zurückzubringen. Diese r F luch wird nur zu durchbrechen sein, wenn wir die Originale haben und sie dahin zurückbringen, wo sie hingehören: nach Indien! Ich glaube übrigens nicht, dass der Mechanismus der Statue auch mit Kopien funktioniert. Es gibt ja in Amerika einen Mann namens Carter Clarke, einen ehemaligen US-General. Er fertigt künstliche Diamanten an, die mit herkömmlichen Methoden nicht von echten Diamanten zu unterscheiden sind. Sie haben sicher schon von ihm gehört? «
Marie-Claire nickte. Der umtriebige Exgeneral sorgte seit einiger Zeit mit seinem Unternehmen in Sarasota, Florida, für erhebliche Turbulenzen auf dem milliardenschweren internati o nalen Diamanten- und damit auch auf dem Schmuckmarkt. Der Amerikaner hatte sein Wissen, künstliche Diamanten herzuste l len, von einem russischen Wissenschaftler erworben. So revolutionär sich das Ganze anhörte, so simpel war im Prinzip der Herstellungsprozess. Letztendlich wurden in Reaktoren die Bedingungen im Bauch der Erde vor vielen Millionen Jahren, als die meisten Diamanten unter extremsten Temperatur- und Druckverhältnissen aus Kohlenstoff entstanden, nachgeahmt. In den USA wurden dabei echte Diamantsplitter zusammen mit Graphit in einem Reaktor unter dreitausend Grad Celsius und einem Druck von fünfzigtausend Atmosphären zu Diamanten geformt. Kaum mehr als drei Tage dauerte die Herstellung eines Rohdiamanten. Vor allem die begehrten gelben Diamanten, so wie der Florentiner, wurden dort hergestellt. Kostete ein echter Diamant auf dem internationalen Markt zirka zwanzigtausend Euro pro Karat, verkaufte die Firma Gemesis sie für rund viertausend Euro. Da diese synthetischen Edelsteine von einem echten fast nicht zu unterscheiden waren, beunruhigte diese Entwicklung die Edelsteinexperten von DeBeers, dem größte n D iamanten konzern der Welt. Der Monopolist hatte sofort reagiert und ein neuartiges Prüfgerät entwickelt. Im Prüflabor IGI in Antwerpen wurden seither alle Diamanten im » Diamond View System « mit ultraviolettem Licht bestrahlt. In starker Vergrößerung zeigt sich die unregelmäßige Wachstumsstruktur eines echten Diamanten, während der synthetische Diamant durch seine Ebenmäßigkeit entlarvt werden kann – aber nur für Experten. Ein Laie ist selbst mit Lupe nicht in der Lage, Original von synthetischer Ware zu unterscheiden. So gelassen DeBeers sich vermeintlich gab und damit warb, dass ein Konsument stets das Echte haben wolle, so viele Turbulenzen zeichneten sich längst auf den Edelstein- und Schmuckmärkten ab.
Für Marie-Claire setzten enorme Gewissens- und Interesse n konflikte ein. Sollte sie Francis Roundell von diesem Gespräch berichten? Wieso zögerte sie eigentlich, ihren Sicherheitschef zu informieren? Traute sie ihm nicht? Aber wieso traute sie Sanjay? Sollte sie diesem Inder sagen, dass sie selbst ebenfalls auf der Suche nach dem Florentiner war? Sollte sie ihm trauen, misstrauen – oder gar mit ihm kooperieren? Sollte sie ihre persönlichen Empfindungen für diesen faszinierenden Mann aus Indien unterdrücken und rational vorgehen? Sie wusste nicht, wie sie handeln sollte, als sie antwortete : » Ja, ich weiß natürlich, welche Perspektiven durch diese Produktionsverfahren von künstlichen Diamanten für die Zukunft entstehen werden! Allerdings sind diese Leute in den USA derzeit nur in der Lage, Diamanten bis zu etwa viereinhalb Karat herzustellen. Eine täuschend echte Kopie des Florentiners mit seinen hundertsi e benunddreißig Karat wird es also aus den USA nicht geben. Und die beiden Sancys können dort aus dem gleichen Grund nicht reproduziert werden – noch nicht! «
Der indische Edelsteinexperte aus Rajasthan nickte wissend mit dem Kopf. » Ich teile Ihre Einschätzung, Marie-Claire! Für mich ist
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