Der Fluch des Nebelgeistes 06 - Das Schiff der Hoffnung
Erinnerung an dich niemals loswerden.«
Düster betrachtete Dakar die reglose Gestalt auf der Pritsche mit einer feindseligen Miene, während er mit zitternden Händen daran arbeitete, die Pfeife anzuzünden. Schließlich gelang es ihm, und der bittere Rauch schien sich in seiner Kehle festzubeißen, als er inhalierte. Weit wahrscheinlicher als seine zuvor geäußerte Befürchtung schien es, daß Arithon s’Ffalenn ihn ob seiner Einmischung umbringen würde.
Tiefer und tiefer saugte der Wahnsinnige Prophet den Rauch in seine Lungen, bis seine Aufmerksamkeit zu verschwinden schien. Er würde sich eine Überdosis verabreichen müssen, nur, um den rasanten Reflexen dieses Mannes zuvorkommen zu können. Und Tienelle war nachtragend. Sollte er auch nur einen Hauch zuviel einnehmen, dann wäre er ebenso verloren wie der Prinz, und niemand an Bord der Khetienn verfügte über das Wissen über die Mysterien, um ihnen zu Hilfe zu kommen.
So eisern konzentriert wie eine geschmiedete Speerspitze, sank Dakar in die tienelleverstärkte Trance und bereitete seinen Vorstoß vor. Dann jagte er einen Aufmerksamkeit erbittenden Ruf durch den Geist des Prinzen von Rathain.
Schutzmechanismen schlugen zurück wie ein Donnerschlag ineinander verzahnter Kräfte, denen Dakar nichts außer einer starken Vision entgegensetzen konnte: in graphischen Details, überbracht durch die verstärkte Wahrnehmungsfähigkeit, gestaltete er Arithons eigene, bösartige Erinnerung an die Städter, die durch seinen Akt der Großen Beschwörung auf dem Schlachtfeld am Fluß Tal Quorin den Tod gefunden hatten.
Die Vision prallte auf Arithons Reue. Dakar sah die silberhelle Flamme hervorschießender Macht, als das königliche Mitgefühl den Prinzen peinigend zum Rückzug zwang.
Arithons Schutzmechanismen waren aus dem Gleichgewicht geraten, und durch die vorübergehend so entstandene Lücke trieb Dakar seine Macht, ausgewogen wie eine tödliche Klinge. Gnadenlos schlug er zu, bewaffnet mit unbarmherziger, ungehemmter Energie.
Arithons magische Wahrnehmung war durch das Gefühl der Schuld vergiftet worden; deshalb, so urteilte Dakar, gnadenloser als Aths eigener Racheengel, mußten jene Taten, die sein Gewissen plagten, jenseits seines Zugriffs gegen die Erinnerung verschleiert werden. Dakar kannte keine Barmherzigkeit. Mitleidlos plünderte er alle Erinnerungen, deren er habhaft werden konnte: der große Fehlschlag am Tal Quorin, Steifen s’Valerient und seine Gemahlin, nun nurmehr rottende Gebeine unter einem steinernen Grabhügel im Wald von Deshir; eine ganze Generation, niedergemetzelt um des Lebens eines Knaben willen; dann Dhirken; die gnädige Frau Maenalle; sieben andere unschuldige Unglücksraben in einer Waffenkammer; Taliths zerrüttete Ehe; all jene Kümmernisse fegte Dakar in den glühenden Kreis seines Bannes.
Bei jedem seiner Eingriffe protestierte Arithons innere Wahrnehmung gegen diese dreiste Einmischung. Der Kampf in seinem Inneren wollte sich nicht unterdrücken lassen. Statt dessen rief diese Vergewaltigung seiner behütetsten Privatsphäre einen gewaltigen Sturm aus Zorn hervor. Unter gewaltigem Druck wühlte Dakar weiter. Sein instinktiver Drang, Gnade zu zeigen, mußte der Notwendigkeit weichen. Er hielt alle Fäden in seinen Händen, war durch die innersten Schutzwälle des Schattengebieters hindurchgedrungen. Es war allein an ihm, jedes dieser tausend dornigen Fragmente an sich zu reißen, den Widerstand zu brechen, ganz gleich, wie tapfer er sich auch zeigen mochte, und Geist und Courage in einen Taumel aus Qualen zu stürzen.
Obwohl wieder und wieder bis aufs Blut gepeinigt und zu innerlichem Aufheulen getrieben, verweigerte sich Arithons Natur der Unterwerfung. Der Mann aber, der sich eingemischt hatte, um seine geistige Gesundheit zu bewahren, konnte nichts weiter tun, als jedes dieser gemarterten Hemmnisse anzugreifen und Kummer und Sorgen zu nutzen, das innere Gleichgewicht zu erschüttern.
Dakar wühlte sich durch unzählige Lagen streng behüteter Erinnerungen, durch Ereignisse, an denen er selbst nicht teilgehabt hatte, die bis zu der Zeit zurückreichten, als Arithon noch der Thronerbe Karthans jenseits des Westtores gewesen war, als die moralischen Ideale und Hoffnungen der Jugend in der unsäglichen Gefangenschaft des Prinzen unter einem anderen König aus dem Geschlecht der s’Ilessids gipfelten. Ausgebreitet wie ein Gobelin sah Dakar all die Fundamente dessen vor sich, was Arithon nun war, und bei jedem
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