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Der Fluch des Nebelgeistes 06 - Das Schiff der Hoffnung

Der Fluch des Nebelgeistes 06 - Das Schiff der Hoffnung

Titel: Der Fluch des Nebelgeistes 06 - Das Schiff der Hoffnung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Janny Wurts
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Er entlockte ihnen Tränen reinster Freude. Eine Gabe wie die seine hatte Athera seit über tausend Jahren nicht mehr gehört, wie Sethvir, gedämpft durch den salzigfeuchten Stoff seiner Serviette eingestand. Als der Barde schließlich die letzte klingende Silbersaite zum Verstummen brachte, hatte er das Wohlwollen aller bei Hofe errungen.
    Nun hatten sie alle den Glanz des Juwels in ihrer Mitte in seiner so selten offenbarten Pracht geschaut, und gleich, wie bissig er sich auch geben mochte, nichts würde diese Menschen nun noch zur Abkehr bewegen. Von nun an würde dem Prinzen von Rathain keine Pause vergönnt sein, wie sehr er auch grollen und schimpfen mochte.
    So gut er nur konnte, flüchtete er sich in derbe Kurzweil.
    Jagen, die Falknerei, bewaffnete Zweikämpfe, Wettbewerbe im berittenen Bogenschießen, Arithon führte seinen Gegnern ein wahrhaft demütigendes Können vor und gewann so neuen Raum für sein zurückhaltendes Wesen. Er handhabte ein Schwert mit einer tödlichen Grazie, die selbst den verweichlichten Gildeminister nur beeindrucken konnte. Und selbst da, wo Sethvirs Absicht fehlgeschlagen war, wagte niemand mehr, den Prinzen zu peinigen, um seinen Intellekt auf die Probe zu stellen.
    Vier Tage vor der Sonnenwende und der Ankunft des Lösegeldes thronte Prinzessin Talith hoch oben auf der Galerie über dem großen Saal des königlichen Palastes und blickte auf die von unzähligen Kerzen beleuchteten Tische und das Gedränge der Höflinge hinab, die von dem zurückliegenden Fest gesättigt und ermattet herumlungerten. Der Duft von Lilien, Mandelsoße und Lavendel vermengte sich in der Luft zu einem schweren Dunst, so süß, beinahe zu widerlich, noch zu atmen.
    Talith war die Treppe hinaufgestiegen, um ihre Gedanken zu ordnen. Neben der Bank, die sie als ihre Zuflucht erwählt hatte, stand, eingehüllt in eine geliehene Klerikerrobe, der Wahnsinnige Prophet, die Ellbogen auf das marmorne Geländer gestützt und die Finger in seinem Bart vergraben.
    Der Prinzessin kam die Ironie zu Bewußtsein, daß der Mann, dem ihrer beider Blicke folgten, als wäre er ihre erwählte Beute, eben jener Feind, der Prinz von Rathain, war.
    Ebenso wie Talith schien auch Dakar gerade jene Erkenntnis schmerzlich herbeizuersehnen, die sie doch beide entschieden, ja, beinahe verzweifelt von sich wiesen: daß Arithons Bösartigkeit nicht einem grausamen Gemüt, sondern vielmehr einer schreckensbehafteten Gabe des Mitgefühls entstammte.
    »Sein verwundbares Herz treibt ihn zum Angriff.« Talith teilte ihre Bestürzung mit dem rundlichen Propheten, der sich auf das Geländer stützte, gleich neben dem Platz, auf dem sie sich in all der Seide, die sich wie ein frostiger Schleier über sie gelegt hatte, den schimmernden Perlen und der edlen Stickerei, niedergelassen hatte. »Was mag wohl der Grund sein, daß Ihr ihn besiegen wollt? Ich habe einen Gemahl, dessen Ehre ich verteidigen muß. Welchen Grund habt Ihr, ihn zu hassen?«
    »Einen ähnlichen.« Dakar zog die Schultern hoch. Ihre feinsinnige Erkenntnis war ihm so unwillkommen wie die Spitze eines Rapiers in seinem Rücken. »Prinz Lysaer war mein bester Freund.« Er zog den Spanielkopf ein, und seine Hände ballten sich zu Fäusten, da er so gänzlich ohne Absicht in der Vergangenheit gesprochen hatte. Sein Gewissenskonflikt war unerträglich peinigend. Mochte er auch seine Nemesis schmähen, wie es ihm gefiel, das Sterben eines kleinen Mädchens hatte sich dennoch unauslöschlich in sein Gedächtnis gebrannt. Was auch immer Arithon war, seine Sorge um das Kind war aufrichtig gewesen.
    »Wenn er nur den kleinsten Fehltritt tut«, versprach der Wahnsinnige Prophet, »so soll er bekommen, was er verdient.«
    Welche Drohung sich tatsächlich hinter diesen Worten Dakars verbergen mochte, das, so stellte Talith fest, wollte sie lieber nicht erfahren.
     
    Drei Tage vor der Sonnenwende bückten sich in kurzen Nächten die Kerzenmacher über ihre Schmelzkessel, um den Bedarf für die Festlichkeiten zu decken, bastelten die Kaufmannskinder kleine Papiertalismane, um sie in die Fenster zu hängen, und die Menschen im Armenviertel flochten Weidenkörbe, die sie zu diesem Anlaß mit der Bitte um Almosen auf ihre Schwelle zu stellen pflegten. Auf den großen öffentlichen Plätzen wurde Holz für die Freudenfeuer von den Bauernkarren geladen. Inmitten des Radaus und des dichten Gedränges, umgeben von dem Gebell der Hunde, die der königliche Hundeführer herausgelassen hatte, um

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