Der Fluch des Salamanders
Schiss!«
»Habʼ ich nicht!«
»Natürlich hast du Schiss! Du machst dir gleich in die Hose!«
Anstelle einer Antwort flog ein Kissen quer durch den Raum und landete auf Leas Nase. Sie schnappte es sich und feuerte das Kissen zurück.
»Hier! Nimm das, du Schisser!«
»Ich zeigʼ dir gleich, wer hier der Schisser ist.«
John stürmte aus seinem Bett und warf sich auf Lea. Er versuchte, sie in den Schwitzkasten zu nehmen. Vergeblich. Lea war kräftiger als er. Sie behauptete, das läge daran, dass sie die Ältere der Zwillinge war. Das stimmte auch: Lea war zehn Minuten vor ihrem Bruder geboren und sie vergaß nur selten, John darauf hinzuweisen.
»Gib auf! Du hast keine Chance! Ich bin älter und stärker als du!« Lea kniete über John. Sie hieltseine Hände rechts und links neben seinem Kopf auf die Matratze gepresst.
»Meinst du, sie vermissen uns auch? So wie wir sie?«, fragte John.
»Klar, was glaubst du denn?«, erwiderte Lea. Sie rollte sich zur Seite und gab ihren Bruder frei.
»Und warum suchen sie dann so einen dämlichen Lurch, anstatt sich um uns zu kümmern?«
»Sie sind Wissenschaftler! Das verstehst du nicht!«, entgegnete Lea.
Überzeugt klang sie nicht.
»Jetzt sag schon! Wohin fahren wir?«, fragte Lea ungeduldig.
»Das würde ich auch gerne wissen!«, ergänzte John und schaute von seinem Buch auf. Er besaß das seltene Talent, im Auto lesen zu können, ohne dass ihm dabei schlecht wurde. Er und Lea saßen hinten auf der Bank von Omas Landrover.
»Hört auf zu quengeln und lasst euch überraschen!«, erklärte Oma und überholte einen Traktor, der gemächlich die nasse Landstraße entlangzockelte.
Lea wusste, dass es zwecklos war, weiterzubohren, und auch John widmete sich wieder seinem Buch. Wenn Großmutter ihnen ihr Geheimnis nicht verraten wollte, würde sie es auch nicht tun.
Lea sah hinaus in die flache Landschaft, die derRegen wie ein Schleier verdeckte. In Guatemala würde es anders aussehen. Das wusste sie. In den letzten Wochen hatte sie alles gelesen, was sie über Mittelamerika in die Hände kriegen konnte. Sie wusste, wo die Höchsttemperatur im Juni lag (33,2 Grad), wie viel Regen in dem Monat fiel (382 Liter pro Quadratmeter), welche gefährlichen Tiere es dort gab (eine ganze Menge) und wie die wichtigsten Städte hießen (Guatemala City, Mixco und Villa Nueva). Trotzdem konnte sie es sich nur schwer vorstellen, morgen dort zu sein.
Dabei hatte sie schon vor Tagen angefangen zu packen. Sie hatte alles zusammengesucht, was im Dschungel nützlich sein konnte. John hatte noch nichts gepackt. Klar freute er sich auf seine Eltern. Aber im Gegensatz zu Lea war er überhaupt nicht wild auf den Dschungel. Im Gegenteil: Er hatte die feste Absicht, sein Zelt so selten wie möglich zu verlassen. Aus seinen Büchern wusste er, was einem passieren konnte, wenn man sich leichtfertig in die Wildnis begab. Wären seine Eltern nicht gewesen, hätte er Omas Hof in den Sommerferien niemals freiwillig verlassen. Dort gab es Zebras,Lamas und andere exotische Tiere mehr als genug, dazu musste er nicht um die halbe Welt fliegen.
(aus Johns Notizbuch)
»Wir sind da!« Oma hielt auf einem Parkplatz. Er gehörte zu einem riesigen Outdoor-Laden, der über dem Eingang mit dem Spruchband »Mit uns hätte Scott am Südpol überlebt« warb.
»Ich dachte, ihr braucht vielleicht noch ein paar Sachen«, sagte Oma.
»Was denn für Sachen?«, fragte John, ohne von seinem Buch aufzusehen.
»Wenn man in den Dschungel fährt, braucht man Sachen. Da könnt ihr nicht in euren Sommersandalen rumlaufen«, erklärte Oma und zog eine Liste hervor, die ihr Leas und Johns Vater gemailt hatte.
»Warum nicht?«, fragte John zurück.
»Weil da ganz viele giftige Viecher rumkrabbeln!«, entgegnete Lea begeistert.
»Weiß ich doch selbst, Blödfrau! Steht doch alles hier drin!« John hob sein Buch hoch, sodass Lea den Titel auf dem Umschlag lesen konnte: »Verloren im Dschungel«.
»Das ist doch nur Schund!«, schnaubte Lea abschätzig.
»Ist es nicht!«
»Wohl!«
»Ich befürchte, ich werde sogar euer Streiten vermissen!«, sagte Oma. »Und jetzt raus hier, ehe ich noch anfange zu flennen.«
Die Zwillinge verstummten sofort und öffneten die Heckklappe des Landrovers, um nach draußen zu klettern. Das Letzte, was sie jetzt wollten, war, ihre Großmutter weinen zu sehen. Das würde schon beim Abschiednehmen am Flughafen schlimm genug werden.
Der Laden erstreckte sich über drei Etagen und im
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