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Der Fluch des Sündenbuchs: Historischer Roman (German Edition)

Der Fluch des Sündenbuchs: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Der Fluch des Sündenbuchs: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Beate Maly
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Stille. Es ist, als wappneten die Tiere sich für etwas Schreckliches.«
    Assante richtete sich auf. Vielleicht glaubte er, so besser hören zu können. Aber er schüttelte den Kopf. Ihm fiel nichts Bemerkenswertes auf. Als er wieder zu Tica schaute, lag in seinen Augen eine fast schmerzliche Sehnsucht.
    Die junge Frau schien Conrads Sorgen zu teilen. Auch sie wirkte nervös und angespannt.
    »Ihr habt recht«, sagte sie besorgt. »Etwas ist anders als sonst, und ich fürchte, dass gleich etwas Schreckliches passieren wird.«
    »Lasst Euch von Conrad nicht anstecken. Mein Freund hört manchmal das Gras wachsen«, sagte Assante.
    Aber Tica schüttelte den Kopf: »Nein, glaubt mir. Die Tiere spüren es auch. Sie bereiten sich auf eine Katastrophe vor.«
    Noch bevor Tica ihren Satz fertig gesprochen hatte, stoben Vögel laut kreischend aus den Bäumen. Ein heftiger Stoß erschütterte die Erde. Steine gerieten ins Wanken, und ein tiefes, aus dem Inneren der Erde dringendes Brummen breitete sich aus.
    Tica reagierte als Erste. Sie sprang auf und legte sich abseits der Bäume flach auf den Boden.
    »Die Götter lassen die Erde beben! Legt Euch hin!«, schrie sie.
    Assante ging in die Knie und legte sich auf den Bauch, während Conrad bemüht war, aus seiner Hängematte zu klettern. Unsanft plumpste er auf den Boden und schlug mit dem Knie auf einem Stein auf. Er fluchte. Die Erde unter ihm vibrierte. Es war ein heftiges Rütteln und Beben, als bewegte sich ein Ungeheuer in tiefen Schächten unter ihnen. Nach all den seltsamen Tieren der letzten Wochen hatte Conrad das Bild einer Riesenechse vor sich, das Tunnel grub und darin wütend herumsprang. Natürlich wusste er, dass so ein Monster nicht existierte.
    In dem Moment riss der Boden neben ihm laut krachend auf. Ein handbreiter Spalt entstand. Der Riss schoss blitzschnell in einem unregelmäßigen Zickzackmuster bis zum Fluss. Kleine Steine und Pflanzen gerieten ins Rutschen und verschwanden in der Spalte.
    Das ist das Ende!, schoss es ihm durch den Kopf.
    Assante sprach seine Worte aus: »Moriemur, wir werden sterben!« Die Stimme des Freundes ging im Lärm, den die Tiere veranstalteten, unter. Tica hörte ihn dennoch und ergriff seine Hand: »Nein, es ist bloß ein Erdbeben, und wir sind hier in Sicherheit.«
    Genau in dem Moment fiel einer der Bäume, an dem sich gerade noch Assantes Hängematte befunden hatte, krachend um. Staub wirbelte auf, Vögel kreischten. Weitere Erdstöße entwurzelten kleine Bäume. Plötzlich setzte heftiger Wind ein. Eine Sturmbö erfasste das Ruderboot, wirbelte es hoch und ließ es geräuschvoll wieder herunterkrachen. Conrad presste seinen Körper mit aller Kraft auf den Boden, wickelte Grasbüschel um seine Handgelenke und hielt sich daran fest. Unter ihm rumorte die Erde.
    »Gott stehe uns bei«, flüsterte er. Das Vaterunser, ein Gebet, das er das letzte Mal als kleiner Junge gesprochen hatte, fiel ihm ein. Gegen seinen Willen gingen ihm die Worte leise über die Lippen. »Vater unser, der du bist im Himmel, geheiligt werde dein Name …« Conrad schloss die Augen, der Himmel hatte sich verfinstert. Die orangerote Sonne, die eben noch am Horizont gestanden hatte, war verschwunden. Statt ihr hing dichter Staub in der Luft, der in die Lungen kroch und trockenen Reizhusten auslöste. Tica krümmte sich, während einer Hustenattacke. Conrad bemühte sich möglichst flach zu atmen. Er sah aus den Augenwinkeln, wie Assante einen Arm schützend um Tica legte und ihr ein Tuch vor Nase und Mund hielt. Der Husten ließ allmählich nach.
    Eine weitere Sturmbö fegte über die Steppe. Das Wasser des Flusses peitschte hoch und schwappte ans Ufer. Eiskalt spritzte es bis zu der Stelle, an der sie lagen. Ein toter Vogel wurde gegen Conrads Oberschenkel geschleudert. Angeekelt schob er das blutende Federknäuel von sich weg. Ein anderes Gebet kam ihm in den Sinn: »Gegrüßet seist du Maria voller Gnade, der Herr sei mit dir, gebenedeit sei die Frucht deines Leibes …«
    Was tat er da? Warum betete er? Er wusste doch, dass Gott ihm nicht beistehen würde. Conrad wollte damit aufhören, wollte die Worte, an die er nicht glaubte, nicht weiter im Kopf haben. Aber es gelang ihm nicht, sie abzuschütteln. Sie waren da und ratterten durch seine Gedanken, immer und immer wieder.
    Irgendwann, als er längst aufgehört hatte, die Anfänge des Gebetes mitzuzählen, ebbten Wind und Erdstöße zeitgleich ab. Es war immer noch finster, denn eine dichte

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