Der Fluch des Sündenbuchs: Historischer Roman (German Edition)
fragte er.
»Tom ist tot. Ich erkläre Euch alles später, wir müssen weg.«
»Was soll das heißen?«, fragte Richard gereizt. »Er ist doch gerade in den Garten gegangen, um Euch zu holen.«
»Bitte kommt«, drängte Jana zappelnd.
Da erblickte Richard die beiden Männer in Kutten, die am Boden miteinander verkeilt waren. Mit einem Mal ging ein Ruck durch seinen Körper. Er wirkte mit einem Schlag nüchtern und schien die Gefahr zu erfassen.
»Tom hat unser Gepäck schon am Nachmittag zum Stall gebracht. Habt Ihr Eure Karte bei Euch?«
Jana nickte und folgte Richard. Sie liefen zu den Stallungen hinter dem Kloster.
»Die Pforte zum Garten ist abgesperrt«, sagte Jana leise, aber Richard hörte sie dennoch.
»Auf der anderen Seite befindet sich noch eine Tür, die nie verschlossen ist.«
»Woher …?« Jana beendete ihre Frage nicht, denn sie kannte die Antwort auch so. Wie hätte Richard von seinem nächtlichen Ausflug zurückkehren können, wenn es keine offene Tür gab?
Im Stall warteten wirklich die fertigen Maultiere und das gesamte Gepäck auf sie. Als hätte Tom geahnt, dass sie heute unerwartet aufbrechen mussten. Jana ergriff die Zügel ihres Tieres und führte es zurück in den Garten. Wie immer bockte das Maultier und weigerte sich zu gehen. Mit allen Tricks, die sie kannte, versuchte Jana das Tier zu locken, aber ohne Erfolg. Erst der Apfel, den Richard ihr reichte, überzeugte das störrische Tier.
Es kam Jana wie eine Ewigkeit vor, bis sie das Tor erreicht und es schließlich passiert hatten. In Wirklichkeit geschah alles unglaublich schnell.
Sie schlugen einen Weg Richtung Westen ein. Jana wartete darauf, dass sich das Gefühl von Erleichterung einstellen würde, aber nichts dergleichen geschah. Im Gegenteil, sie zitterte vor Angst. Egal wohin sie auch blickte, überall sah sie das Bild von Tom, wie er blutend am Boden lag. Der Mann hatte ihr helfen wollen und war kaltblütig erstochen worden.
Schweigend ritten sie, bis die Sonne untergegangen war. Niemand schien ihnen zu folgen. Auf ihren langsamen Maultieren hätte jeder, der über ein Pferd verfügte, sie innerhalb kürzester Zeit eingeholt.
»Würdet Ihr mir nun verraten, was passiert ist?«, fragte Richard und drehte sich zu ihr.
Jana fühlte sich immer noch außerstande, etwas zu sagen.
»Später«, flüsterte sie.
Da blieb Richard stehen, stieg von seinem Maultier ab und holte seinen Mantel aus seiner Satteltasche. Nüchterner als je in den Wochen zuvor ging er auf Jana zu und reichte ihn ihr.
»Ihr zittert«, sagte er, und in seinen dunklen Augen lag Besorgnis.
Jana nahm den Mantel und wickelte sich in den Wollstoff, der nach Zuckerrohrbrand roch. Auf merkwürdige Weise tröstete das Kleidungsstück sie. Als Richard wieder auf sein Maultier stieg, wusste Jana, dass die Reise weitergehen würde, so wie das Leben weiterging. Es war nicht stehen geblieben, als ihre Mutter gestorben war, und hatte nicht angehalten, als ihr Vater sie verlassen hatte. Es würde auch jetzt keine Pause machen, selbst dann nicht, wenn sie es noch so sehr wünschte.
Jana waren Weg und Sinn abhandengekommen, trotzdem würde sie weiterleben. Gott allein entschied, wer gehen musste und wer bleiben durfte. Auch wenn sie das Geschenk des Lebens im Moment als grausame Strafe empfand.
Barinas,
März 1619
Der schwachköpfige Junge verfügte über Kräfte, die jeden Soldaten vor Neid hätten erblassen lassen. Trotz aller Anstrengung gelang es dem Mönch nicht, sich zu befreien. Er versuchte es mit Wut und Zorn, dann mit List und Überredungskunst, aber es war, als befände sich Bonifàcio in einer anderen Welt, zu der nur er Zugang hatte. Monoton sang er weinend seinen Spruch. »Nicht töten, nicht töten …« Dabei starrte er mit angstgeweiteten Augen auf den toten Mann am Kiesboden.
Der Mönch hatte sich damit abgefunden, dass er die nächsten Stunden im eisernen Griff des Jungen verbringen würde, als Edmundo den Garten betrat. Mit erstaunlich schnellen Schritten kam der Alte zu ihnen, würdigte den Toten am Boden nur eines kurzen Blicks und fuhr dann den Jungen an: »Lass deinen Herrn sofort los.«
Aus unerfindlichen Gründen lockerte sich Bonifàcios Griff, und der Jesuit rückte von dem Jungen ab. Hätte er ihn vor wenigen Augenblicken ohne mit der Wimper zu zucken erstochen, so waren die Wut und der Ärger nun beinahe verpufft. Verständnislos musterte er den Jungen, der immer noch entrückt schien. Was ging in seinem Kopf vor?
Edmundo riss
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