Der Fluch des Sündenbuchs: Historischer Roman (German Edition)
versucht, die Karte zu verkaufen, was ihm angeblich auch gelungen ist. Seither gilt die Karte als verschwunden. Aber ich bin davon überzeugt, dass die Kirche alles daransetzt, sie wiederzubeschaffen. Der Goldschatz soll von einem gigantischen Ausmaß sein.«
Richard betrachtete stirnrunzelnd das eingerollte Schriftstück in Raleighs Hand.
»Als ich an die Karte kam, studierte ich sie so eingehend, bis jede Linie auf dem Papier in meinem Kopf eine Spur zurückgelassen hatte wie in frisch gefallenem Schnee.«
Richard hätte gern erwidert, dass Schneespuren schnell verwischt werden können, unterließ es aber.
»Während der letzten Tage habe ich die Schatzkarte aus meinem Gedächtnis noch einmal zu Papier gebracht.«
»Warum erzählt Ihr ausgerechnet mir davon?«, fragte Richard skeptisch. Raleigh hatte keine hohe Meinung von ihm. Warum sollte ausgerechnet er nun von dem Geheimnis der Karte erfahren?
»Ich bin in die Neue Welt gesegelt, weil ich den Schatz für England finden wollte. Ich war fest davon überzeugt, dass nur unsere Nation es wert war, in den Besitz eines derart gigantischen Goldschatzes zu gelangen. Ich war ein Narr!«
Raleigh schnaufte verächtlich: »Eine Nation taugt immer nur so viel wie ihr Regent. Meine Königin ist tot, und ihr Nachfolger wird mich nächste Woche hinrichten lassen. Ein feiger, unsicherer König, der sich vor den Spaniern ins Hemd macht. Ich bin ein alter Mann, und meine treusten Weggefährten leben nicht mehr. Jene, die geblieben sind, haben sich als Verräter entpuppt. Was einst Querdenker und Mitglieder der School of Night waren, sind heute Mitläufer und Feiglinge.«
Richard horchte auf. Er hatte sich immer gefragt, ob es die geheime Vereinigung wichtiger Männer wirklich gegeben hatte. Die School of Night, eine Gruppe gelehrter Männer, Mathematiker, Astronomen, Geographen, Philosophen und Dichter, die sich angeblich rund um Raleigh versammelt hatten, um über Religion und Politik zu diskutieren und die Gesellschaft neu zu ordnen. Es hieß, sie hätten den Atheismus studiert, was de facto mit Hochverrat gleichzusetzen war. Wie konnte es sein, dass Raleigh mit all diesen Männern gebrochen hatte?
»Euer Gesicht verrät Eure Gedanken«, sagte Raleigh lachend.
»Keinem von denen, die noch leben, will ich diese Karte überlassen. Sie alle würden den Schatz für politische Intrigen nutzen. Macht, Einfluss und wieder Macht. Ich habe dieses Spiel endgültig satt.«
Richard verstand immer noch nicht, welche Rolle er in dem Spiel übernehmen sollte.
»Alle wollen diesen Schatz besitzen, der ihnen Macht garantiert. Ich selbst war nicht besser. Wäre mein Wunsch nach Einfluss nicht so groß gewesen, könnte ich noch ein paar Jahre zufrieden leben. Aber die feige Entscheidung eines armseligen Königs kostet mich nun mein Leben.« Raleigh spuckte auf den sauberen Fliesenboden.
»Doch solange ich noch atmen und denken kann, will ich verhindern, dass er oder einer seiner Männer jemals die Karte besitzen wird.«
Ein spitzbübisches Lächeln, das erahnen ließ, wie gutaussehend er einst gewesen war, stahl sich auf Raleighs Gesicht.
»Ihr seid ein Trinker, der abenteuerlustig genug ist, sich auf die Suche nach dem Schatz zu machen, und solltet Ihr ihn tatsächlich finden, weiß ich mit Sicherheit, dass Ihr keinerlei politische Ambitionen hegen werdet. Im besten Fall hört Ihr mit dem Saufen auf und kehrt zu Euerm früheren Leben zurück, im schlimmsten Fall gebt Ihr einen Teil des Goldes für Schnaps aus und schickt den Rest an Eure Familie.«
»Habt Ihr eine Idee, um wie viel Gold es sich handelt?«, fragte Richard vorsichtig.
Raleigh schüttelte den Kopf.
»Ich weiß nur, dass es ein riesiges Vermögen sein muss. Wenn Ihr den Schatz findet, werdet Ihr Julia zu einer reichen Frau machen und Euren Kindern und Enkelkindern ein gutes, sorgenfreies Leben ermöglichen.«
Raleighs Augen waren vom Alter trüb, aber sie strahlten immer noch Willensstärke aus.
»Ich will, dass Ihr in die Neue Welt segelt und dafür sorgt, dass weder Spanien noch die Niederlande, England oder gar die katholische Kirche in den Besitz des Goldes kommen. Und ich will, dass Ihr den Diener meiner Tochter mitnehmt: Tom Reasley!«
»Warum das denn?«, fragte Richard entsetzt.
»Um sicherzugehen, dass Ihr lossegelt und die Karte nicht bei der ersten Gelegenheit verkauft«, entgegnete Raleigh.
Richard schluckte hart. War er wirklich so leicht zu durchschauen? Seine Hände hatten aufgehört zu zittern,
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