Der Fluch des Sündenbuchs: Historischer Roman (German Edition)
auftischen konnte. Er hoffte auf Toms Einfallsreichtum.
Der Rotwein funkelte verlockend in der Kristallflasche, und Richard warf alle guten Vorsätze über Bord. Den tadelnden Blick Raleighs ignorierend, schenkte er unaufgefordert das leere Weinglas bis zum Rand voll, prostete dem alten Mann zu und trank es in einem Zug leer. Augenblicklich fühlte er sich besser, sein Zittern verschwand und die Selbstzweifel verflogen. Es konnte doch wirklich nicht so schwer sein, einen Schatz zu finden.
»Erzählt mir in Ruhe, wie ich es anstellen soll, in die Neue Welt zu kommen«, sagte er und zog seinen Mantel aus. Dann lehnte er sich entspannt zurück. Er wollte die Nacht dazu nutzen, um alles zu erfahren, was Raleigh bereit war zu erzählen.
Gran Canaria,
Oktober 1618
Janas Füße sanken knöcheltief im feinen weißen Sand ein. In jeder Hand trug sie einen ihrer Lederschuhe, gleichzeitig hielt sie den Rock ihres leichten Sommerkleides hoch, um nicht zu stolpern. Die Luft roch frisch und schmeckte nach Salz. Lachend lief sie auf die türkisblauen Wellen zu, auf denen winzige weiße Schaumkrönchen tanzten. Im regelmäßigen, sanften Rhythmus drängten sie rauschend an den Strand.
Jana drehte sich um. Conrad war nur eine Armeslänge hinter ihr. Gleich würde er sie eingeholt haben. Als sie einen weiteren Sprung nach vorne machte, spürte sie, wie seine Hand sich um ihren Oberarm legte. Augenblicklich geriet Jana ins Stolpern, ihre Schuhe fielen in den Sand, und kurz darauf landete sie ebenfalls auf dem weichen Untergrund. Sie zog Conrad mit sich.
Der Aufprall war sanft, wie der Kuss, der folgte. Jana wehrte sich nicht dagegen. Ganz im Gegenteil. Seine Lippen waren weich und salzig wie das Meer. Mit jeder Faser ihres Körpers drängte sie sich ihm entgegen. Bereitwillig ließ sie ihn das Oberteil ihres Kleides aufschnüren und seufzte zufrieden, als sie seine heiße Haut spürte. Ihre Körper bewegten sich im Rhythmus, der dem des Meeres glich. Aber Jana hörte weder das Rauschen der Brandung noch die Schreie der Möwen, die über ihnen kreisten.
Sie sah die weißen, majestätisch dahingleitenden Tiere erst, als Conrad etwas später neben ihr in einen zufriedenen Halbschlaf sank. Sie selbst blinzelte in den wolkenlosen, tiefblauen Himmel und beobachtete die Vögel. In den letzten Wochen und Monaten hatte sie immer wieder Möwen gesehen, wie sie am Hafen neben den Fischerbooten hockten und gierig auf Abfälle warteten. Dann erschienen sie ihr plump, ungeschickt, viel zu groß und schwer, um mühelos über ihrem Kopf zu segeln. Dasselbe galt für ihre Schreie. An Land klangen sie in Janas Ohren schrill und unmelodisch. Sobald die Tiere aber in der Luft segelten, konnte sie sich keine verheißungsvolleren Laute vorstellen. Jana verband die Schreie der Möwen mit Meer, Freiheit und Abenteuer. Begriffe, die für gewöhnlich den Männern dieser Welt vorbehalten waren, aber Jana hatte in den letzten Monaten dafür gekämpft, auch ein Stückchen davon abzubekommen. In Conrad hatte sie einen Mann gefunden, der ihre unkonventionelle, ja skandalöse Art zu leben guthieß und sie unterstützte.
Sie hätte die Tiere noch Stunden beobachten können, aber der etwas kühler werdende Wind trieb ihr eine feine Gänsehaut über Arme und Rücken. Langsam suchte Jana ihre Kleidungsstücke wieder zusammen und zog sich an. Bevor sie ihr Oberteil zuschnürte, hielt sie für einen Moment das goldene Amulett ihres Vaters fest. Es wog schwer in ihrer Hand. War wirklich erst ein halbes Jahr vergangen, seit er es ihr nach Prag geschickt hatte? Jana konnte es kaum glauben. Ihr Leben hatte sich seither grundlegend verändert. Sie hatte sich von ihrem Verlobten Tomek getrennt und ihre Familie sowie eine Apotheke, die eines Tages ihr gehört hätte, zurückgelassen. Sie hatte sich von ihrem besten Freund Bedrich verabschiedet und mit ihm ihre Vergangenheit endgültig hinter sich gelassen. Anschließend war sie an Conrads Seite quer durch Europa gereist, um das Geheimnis eines Buches zu enträtseln, das eng mit dem goldenen Amulett verbunden war. Als Jana ihre Reise begonnen hatte, hatte sie nicht geahnt, dass auch bestimmte Kreise innerhalb der Kirche das Buch besitzen wollten und dafür zu töten bereit waren. Man hatte Jana und Conrad einen gedungenen Mörder hinterhergeschickt. Jana erschauderte immer noch, wenn sie an das entstellte Gesicht ihres Entführers dachte. Aber all das lag nun hinter ihr, und schlussendlich hatten Jana und Conrad das Buch
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