Der Fluch des Sündenbuchs: Historischer Roman (German Edition)
notwendig hier verbringen.
»Ihr fragt Euch sicher, warum ich Euch an diesen garstigen Ort bestellt habe«, begann Raleigh. Auf einem kleinen Beistelltischchen neben seinem Stuhl standen ein Weinkelch und ein Krug aus geschliffenem Glas. Die Flüssigkeit funkelte rubinrot im Licht des offenen Kamins. Richards Kehle war ausgedörrt. Er schleckte mit der Zunge über seine trockenen Lippen.
»Ich bin mit Eurer Tochter verheiratet«, sagte er vorsichtig. Er wollte nicht zugeben, dass er gekommen war, weil Tom ihn dazu überredet hatte, der Einladung nachzugehen. Von sich aus hätte er das Schreiben heimlich verschwinden lassen.
»Ihr seid mit meiner unehelichen Tochter verheiratet«, korrigierte Raleigh ihn. Es klang bitter, und in den Augen des alten Mannes lag Bedauern. Julia hatte Richard erzählt, dass Raleigh ihre Mutter aufrichtig und innig geliebt hatte und sie geheiratet hätte, wenn die Umstände andere gewesen wären. Aber wie so oft, war es zu keiner Ehe gekommen, weil Julias Mutter weder die richtige gesellschaftliche Stellung gehabt noch über die entsprechende Mitgift verfügt hatte. Sie war nicht einmal eine Engländerin gewesen, sondern war mit ihren Eltern aus Hamburg zugewandert.
So als könnte Raleigh Richards Gedanken lesen, schüttelte er den Kopf und fuhr mit ernster Stimme fort: »Ich habe Julias Mutter bis zu ihrem Tod finanziell unterstützt und danach Julia. Gott ist mein Zeuge, und niemand kann das besser wissen als Ihr.«
Richard zuckte mit den Schultern. Wohl wissend, dass es besser war zu schweigen als zu erwähnen, dass das Geld nie ausgereicht hatte. Sicher wusste Raleigh von Richards Vorliebe für Aqua Vitae. Julias kleiner Wollladen hatte nicht genug Geld abgeworfen, und letzten Monat hätten sie beinahe das kleine Häuschen in der Roseline räumen müssen. Aber irgendwie hatte seine Frau es geschafft, die Gläubiger zu beruhigen.
Raleigh holte Richard aus seinen Überlegungen: »Nächste Woche werde ich einen Kopf kürzer gemacht, und das ist sowohl für mich als auch für Julia unerfreulich.«
Etwas an dem Satz irritierte Richard. Wo war die Angst in Raleighs Stimme? War der Vater seiner Frau ein begnadeter Schauspieler, ein Freund des verstorbenen William Shakespeares womöglich, oder hatte er tatsächlich keine Angst vor dem Tod?
»Weder meine Frau noch meine Kinder werden sich um Julia kümmern. Verständlicherweise haben sie kein Interesse an ihr. Meine Familie muss froh sein, wenn sie ihren eigenen Lebensstandard halten kann. Deshalb liegt es nun an Euch, tatsächlich für Julia und Eure Kinder zu sorgen.«
Richard öffnete den Mund, um etwas einzuwenden, aber Raleigh hielt ihn mit einer ungehaltenen Handbewegung davon ab.
»Die wenigen Stunden, die mir noch bleiben, sind zu kostbar, als dass ich Eure armseligen Entschuldigungen hören möchte.«
Richard fühlte sich ertappt. Verlegen blickte er zu Boden und klopfte mit seinen Fingern auf die Oberschenkel. Hätte er sich bloß nicht von Tom zu diesem Besuch überreden lassen. Während Raleigh ihn schweigend musterte, wurde er immer nervöser. Schweiß bildete sich auf seiner Stirn und seiner Oberlippe. Am liebsten wäre er aufgestanden. Warum tat er es nicht einfach?
Schließlich brach Raleigh das Schweigen und sagte: »Ihr seid ein Versager, der beim kleinsten Problem zur Flasche greift. Julia hat etwas Besseres als Euch verdient.«
Richard hob seinen Kopf und erwiderte gekränkt: »Wie ich meine Probleme zu lösen versuche, ist meine Sache.«
»Das sehe ich anders. Ihr tragt die Verantwortung für Eure Frau und Eure Kinder.«
Richard schluckte hart. Er war selbst der Meinung, dass Julia einen besseren Mann verdient hatte. Sie war nicht nur schön, sondern auch ausgesprochen klug und geduldig. Gott allein wusste, warum sie sich für ihn entschieden hatte. Vielleicht weil Richard zu den wenigen Menschen gehörte, die mit einem wohlgeformten Körper und einem ansprechenden Äußeren ausgestattet waren. Oder aber weil Richard mit ihr in der Sprache ihrer Mutter reden konnte. Während Richards Mutter eine waschechte Schottin gewesen war, stammte sein Vater aus Hannover. Ehrlicherweise verwarf Richard beide Möglichkeiten wieder. Er wusste, dass Julia sich nicht in den Mann verliebt hatte, der er heute war, sondern in einen Burschen, der weder getrunken noch auf Kosten seiner Frau gelebt hatte.
»Ich werde Euch eine einmalige Gelegenheit bieten, Julia und der ganzen Welt zu beweisen, was in Euch steckt«, sagte
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