Der Fluch vom Valle della Luna
gewusst, was die große rothaarige Frau – eine Irin? Eine Deutsche? – in dieser toten Jahreszeit hier zu suchen hat.
»Ich hätte gern diese Gesichtscreme und die Körpercreme. Die machen Sie selbst, richtig?«
Die Blonde wird rot vor Stolz.
»Ja, die produzieren wir selbst. Nach Dottoressa Seccis Originalrezept. Sie sind sehr ergiebig, man braucht nur ganz wenig. Wer sie einmal ausprobiert hat, kommt immer wieder, wir schicken sie an Kunden in ganz Sardinien, auch aufs Festland und sogar ins Ausland.«
Sie tippt die Preise in den Computer und reicht ihr den Bon. Ganz schön teuer, diese Biocremes. Wollen wir mal hoffen, dass sie es wert sind.
»Die Apotheke ist wohl schon lang in Familienbesitz?«
Das Mädchen hebt überrascht die Augenbraue.
»Das weiß ich gar nicht. Ich glaube schon. Dottor Secci hat die Apotheke seit langer Zeit, also ... Ich bin nicht von hier, ich bin vor drei Jahren hierhergezogen, als ich geheiratet habe.« Sie steckt die Cremes in eine geblümte Papiertüte. Nelly lässt sich von dem entschiedenen Ton des Mädchens nicht abschrecken.
»Secci? Ich dachte, die wären alle Notare.«
»Früher vielleicht einmal, aber heute nicht mehr. Darf ich fragen, mit wem ich das Vergnügen habe?« Eine dunkelhaarige, gutaussehende Frau in Nellys Alter ist aus dem hinteren Teil des Ladens getreten. Der Zug um die Augen erinnert Nelly an jemanden, den sie kennt, doch sie kommt nicht darauf, an wen.
»Entschuldigen Sie meine Neugier, aber eine Freundin von mir stammt aus diesem Dorf und hat mir viel davon erzählt. Sie hat ein paar Bekannte erwähnt, an die sie sich noch erinnert. Sie ist schon sehr alt, wissen Sie.«
Ein Mann um die achtzig tritt ein, ebenfalls mit einem Bündel Rezepte in der Hand. Während Monica ihn bedient, tritt die Dunkelhaarige auf Nelly zu und mustert sie zurückhaltend, jedoch nicht feindselig.
»Wirklich? Ich bin Nedda Secci. Mein Vater Giovanni war Apotheker, aber mein Großvater Leonardo war tatsächlich Notar und ein Onkel von mir war lange Zeit der einzige Notar im Dorf. Mein Bruder ist ebenfalls Notar, aber in Cagliari. Wie heißt Ihre Freundin noch mal?«
Das habe ich dir gar nicht gesagt. »Sie heißt Anna. Anna Dodero.« Die Apothekerin zuckt mit den Achseln.
»Nie gehört. Aber wenn Sie sagen, sie ist alt, ist sie vielleicht vor langer Zeit weggegangen, und ich habe sie nie kennengelernt.«
»Ja, sie ist als junge Frau fortgegangen. Vielleicht sagt Ihnen ihr Mädchenname was. Anna Pisu.«
Nelly sieht Nedda Secci aufmerksam an. Ein winziges Aufleuchten der Augen, die Miene bleibt unverändert.
»Pisu ist ein ziemlich häufiger Name in Sardinien. Aber hier gibt es keine.«
»Nicht mehr, Dottoressa Secci. Nicht mehr«, erwidert Nelly freundlich, »aber es gab ganz viele. Diese Apotheke zum Beispiel gehörte den Pisus. Und ...« Weiter kommt sie nicht. Nedda Secci hat sich zu ihr hingebeugt und mustert sie kalt. »Wer sind Sie? Was wollen Sie?«, raunt sie.
»Plaudern, Dottoressa. Nur plaudern.« Die Apothekerin macht ihr ein Zeichen, ihr ins geräumige Hinterzimmer voller Regale und Kartons zu folgen, von dem aus man durch eine Glastür ins Kosmetiklabor blickt.
»Sie haben mir noch nicht verraten, wer Sie sind und weshalb Sie so viele Fragen über diese Familie stellen.«
Nelly beschließt, es mit der Wahrheit zu versuchen, und zieht ihren Ausweis aus der Tasche.
»Ich bin Kommissarin aus Genua, Nelly Rosso ist mein Name. Der Regisseur Alceo Pisu ist kürzlich vergiftet worden, womöglich haben Sie davon in der Zeitung gelesen, und wir informieren uns über die Vergangenheit der Familie. Ich kenne Signora Anna Pisu und habe auch die anderen in Genua ansässigen Familienangehörigen kennengelernt.«
Plötzlich weiß sie, wem die Apothekerin ähnlich sieht. Das ebenmäßige Gesicht erscheint ihr plötzlich wie durch Zauberhand ausgezehrt, gealtert und von Krankheit gezeichnet.
»Ich habe auch eine Verwandte von Ihnen kennengelernt, Lorenza Secci, die Ehefrau von Giacomo Pisu. Das sind die Eltern des ermordeten Regisseurs.«
Nedda ist hin- und hergerissen zwischen Zurückhaltung und Neugier. Oder weiß sie etwas, das sie nicht sagen will?
»Eine Polizistin. Sie sehen gar nicht so aus. Wie auch immer, natürlich habe ich über den Mord gelesen. Ja, hier im Dorf haben früher einmal Pisus gelebt. Lorenza Secci, die Mutter des Toten, war meine Tante. Eine der Schwestern meines Vaters.«
»War? Es geht Ihrer Tante zwar nicht gut, aber sie ist noch am
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