Der Fluch vom Valle della Luna
Leben.«
»Oh, seit sie fort ist, ist es für mich, als wäre sie gestorben. Ich war noch sehr klein und kann mich gar nicht mehr an sie erinnern. Meine Eltern haben nie von ihr gesprochen, deshalb ...«, sie macht eine vage Handbewegung. Nelly ist voll in Fahrt.
»Wieso, glauben Sie, wurde nie über sie gesprochen? Vielleicht wegen der Heirat mit einem Pisu? Dabei war, soweit ich weiß, Giacomos Vater Samuele Pisu mit Ihrem Großvater doch befreundet, ebenso wie Ihr Vater Giovanni und Giacomo Pisu.«
Nedda Secci zuckt mit den Achseln. Sie antwortet distanziert, aber nicht unhöflich.
»Ich weiß nicht, was ich Ihnen sagen soll. Sie sprechen von längst vergangenen Zeiten. Vielleicht könnte mein Vater Ihnen weiterhelfen«. Ein Hoffnungsschimmer glimmt in Nellys Augen auf, den Signora Secci mit Genugtuung wieder erstickt. »Aber leider hat er Alzheimer und kann sich nicht einmal mehr an seinen eigenen Namen erinnern.«
»Das tut mir leid. Ihrer Tante Lorenza geht es auch nicht viel besser, vor ein paar Jahren hatte sie einen Schlaganfall und hat sich nie wieder erholt.«
»Leider berührt mich das nicht sonderlich. Ich kenne sie, wie gesagt, eigentlich gar nicht, und in all den Jahren haben wir nie ein Lebenszeichen von ihr bekommen.«
»Seltsam, hat Ihr Vater nie mit Ihnen über den Grund für dieses Schweigen gesprochen? Weshalb die Tante und ihre Familie nie wieder ins Dorf zurückgekehrt sind?«
Nelly will nicht lockerlassen, doch die Frau schüttelt den Kopf, die schönen, vollen Lippen sind zu einer schmalen Linie geworden. Sie wirft einen Blick auf ihre goldene Calvin-Klein-Uhr.
»Es tut mir leid, aber ich kann Ihnen nicht weiterhelfen. Mein Vater hat sie nie erwähnt. Und jetzt entschuldigen Sie mich, Commissario, aber ich habe zu tun.«
Anmutig bewegt sie sich zur Tür und führt Nelly in den Verkaufsraum und zum Ausgang. Da kommt Nelly noch ein Gedanke.
»Entschuldigen Sie, Dottoressa. In den vergangenen Tagen ist nicht zufällig ein junger Mann vorbeigekommen und hat sich nach den Pisus erkundigt, genau wie ich?«
»Ganz sicher nicht.«
Die Tür der Apotheke fällt zu, und die schöne Sardin verschwindet im Halbdunkel des Ladens. Nelly seufzt. Sie betritt die Bar und zieht die mehr oder weniger unverhohlenen Blicke der anwesenden Männer auf sich. Die ist bestimmt Ausländerin, ist im Gesicht des bärtigen Barmannes zu lesen, der sie mit seinen stecknadelgroßen Äuglein mustert.
»Einen Espresso macchiato. Heiß, bitte.«
Die Blicke an den Tischen kreuzen sich. Keine Ausländerin, eine vom Festland. Ein paar Jungs spielen mit einem lachenden, laut plappernden Mädchen Tischfußball. Der Barmann macht ihre Bestellung fertig und kurz darauf hat Nelly ein dampfendes Tässchen in der Hand. Sie setzt sich an einen Tisch, von dem aus man die Piazza und die Mündung der Straße zur Apotheke im Blick hat. Zwei Kaffee später taucht Nedda Secci aus der Gasse auf und verschwindet in einer Seitenstraße. Nelly steht auf und schlendert an den Geschäften vorbei. Sardisches Handwerk. Jeansshop mit den hipsten Klamotten. Die Kickerspielerin muss sich vor ihren Genueser Altersgenossinnen beileibe nicht verstecken. Die neuesten Diesel-Jeans, nackter Bauch, T-Shirt einer Marke, die Nelly nicht kennt, die aber bestimmt total angesagt ist. Während sie sich der Apotheke nähert und überlegt, wie sie es anstellen kann, noch einmal mit der jungen Apothekerin Monica zu reden, kommt diese an die Tür und winkt sie heran.
»Signora! Sie haben ihre Cremes vergessen.«
Die Cremes! Die junge Frau hält das geblümte Papiertütchen hoch. Nelly wäre ihr für dieses unverhoffte Alibi am liebsten um den Hals gefallen. Sie greift nach der Tüte.
»Zum Glück sitzt der Kopf fest auf den Schultern, sonst hätte ich ihn schon längst irgendwo liegenlassen. Danke.« Sie drängt die Frau in den Laden zurück.
»Sagen Sie, ist Amalia hier ein verbreiteter Name?«
Monica blickt sie überrascht an.
»Amalia? Ich glaube nicht. Er ist ein bisschen altmodisch, wenn man sein Kind heute noch so nennt, dann nur, weil die Großmutter so hieß. Wieso fragen Sie?«
»Sie haben doch vorhin eine ältere Kundin Signora Amalia genannt, nicht wahr?«
»Ja«, antwortet die junge Apothekerin unsicher.
»Wissen Sie, die Mutter einer Bekannten von mir kommt aus Luras und war als Kind mit einem Mädchen namens Amalia Sanna befreundet, also hab ich gedacht, dass vielleicht ...«
»Aber die alte Dame ist Amalia Sanna! Es wird hier im Dorf
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