Der Fluch Von Belheddon Hall: Roman
kein Junge sein!«
»Aber es ist ein Junge, Herrin, ein süßer kleiner Junge.«
Die Amme holte eilig Tücher von der Wärmestange vor dem Feuer und rieb neues Leben in den kleinen, kalten Körper. Hinter ihr lag Katherine reglos auf dem Bett, während langsam das Leben aus ihr wich.
»Seht, mein Herzchen, seht Euer Kind an!« Die Amme wickelte das Kind fest in eine Decke und versuchte, es Katherine in die Arme zu legen.
Sie öffnete die Augen. »Nein«, flüsterte sie. »Nein! Nein …«
Das letzte Nein schrie sie aus vollem Halse.
»Ich verfluche den Mann, der mir dieses Kind gab! Ich verfluche alle Männer. Ich verfluche meinen Sohn. Er hat mir das Leben genommen. Ich verfluche das Kind – das Kind des Teufels –, und ich verfluche meine Mutter für ihre Zauberkunst.«
Heiße Tränen strömten ihr über die Wangen.
»Ich wollte leben!
Ich wollte leben. Für immer!«
Es war die Her-rin Ka-the-rine!
Plötzlich erklang die Kinderstimme im Raum.
Es war die Her-rin Ka-the-rine!
»Georgie!« Joss stand auf und holte tief Luft. »Georgie, ich möchte dich sehen!«
Er war ein stämmiger Junge mit dunklen Haaren und kleinen Sommersprossen auf der Nase. So, wie er neben der Tür stand, wirkte er sehr klein, ein vager Schatten inmitten noch tieferer Schatten. Er grinste Joss an, und sie lächelte zurück.
»Möchtest du mit Sammy in den Himmel gehen, Georgie? Um bei unserer Mutter zu sein?« Sie bemerkte, daß sie jetzt ganz ruhig reden konnte.
Er schien sie nicht zu hören, sondern starrte an ihr vorbei zum Fenster.
»Es war die Her-rin Ka-the-rine!« sang er wieder; diesmal klang seine Stimme heiserer.
»Sollen wir sie rufen, Georgie? Sollen wir die Herrin Katherine hierher rufen?« fragte sie, aber er war schon verschwunden.
Ein Blitz zuckte hinter dem Fenster auf, gefolgt von tiefen Donnerschlägen, das Licht begann zu flackern.
»Ich habe Angst.«
»Ich auch. Georgie hatte auch Angst. Das Lied. Er wollte uns warnen.«
»Wovor? Daß wir uns täuschen? Ist vielleicht Katherine die Mörderin?« Joss stand noch immer neben dem Bett und betrachtete die Wollstickerei auf der Decke, als sei die Antwort in den verblaßten Fäden eingestickt.
»Ich glaube nicht, daß sie in der Kirche begraben liegt, Joss. Eigentlich kann sie nicht in geweihter Erde liegen.«
»Aber doch nicht hier im Haus! Oder willst du sagen, daß sie irgendwo hier im Haus liegt?«
Nach einer langen Pause brach Joss schließlich das Schweigen. »Sie ist unten im Keller, stimmt’s? O mein Gott, was sollen wir bloß tun?«
»Wir werden sie heraufbeschwören.«
»Da unten? Im Keller?« Joss holte tief Luft. »Ja, das ist der beste Platz. Hier will ich sie nicht haben. O Gott, Nattie, was sollen wir bloß tun?«
»Komm.« Natalie nahm ihre Hand. »Bringen wir’s hinter uns.«
»Wird Edward dorthin kommen? Wir brauchen ihn. Katherine
ist diejenige, die getötet hat. Er hat nie jemandem weh getan. Er hat Tom oder Ned nie etwas angetan, zumindest nicht absichtlich. Er hat sie getragen, er hat sie versteckt. Er hat sie vor ihr versteckt.« Joss war leichenblaß vor Anstrengung.
»Das wissen wir nicht, Joss. Wir müssen vorsichtig sein. Das ist alles. Wir müssen auf alles und jedes gefaßt sein.«
Mit entschlossener Miene ging Natalie voraus zur Treppe. Auf der obersten Stufe lag eine weiße Rose.
Joss bückte sich, um sie aufzuheben.
»Hilf uns«, flüsterte sie. »Hilf uns, ihr zu helfen.«
Es war die Herrin Katherine!
Es war die Herrin Katherine!
Die hohe Stimme, die vom Dachboden herunterhallte, war jetzt kaum noch zu hören.
Mit der Rose in der Hand begann sie, die Treppe hinabzusteigen.
44
» W ir können nicht ewig hier warten, David. Wir müssen zurück.« Luke saß in Janets Küche und starrte zum Fenster hinaus. Janet und Lyn machten den Kindern gerade etwas zu essen, sie bestrichen dicke Scheiben selbstgebackenes Brot mit Erdbeermarmelade. »Was zum Teufel wissen wir denn überhaupt von dieser Frau? Sie könnte eine Hochstaplerin sein, oder noch Schlimmeres.«
David verkniff sich die Frage, was er mit »noch Schlimmeres« meinte. Er fühlte sich sehr unbehaglich. Dort draußen auf der Terrasse im Regen hatte er sich von Natalies Ruhe beeindrucken lassen und geglaubt, es gäbe etwas beinahe mystisch Weibliches, etwas, an dem Männer nicht teilhaben konnten, etwas Mysteriöses, Bewegliches und Wäßriges, wie Mondlicht auf dem See, etwas, das aus den jahrtausendealten Geheimnissen der Frauen heraus entstand,
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