Der Fluch von Colonsay
»Meggy« unterzeichnet, in einer ziemlich kindlichen Handschrift.
Rosamund las den Brief noch einmal. Die Anrede »Miss Ada« hatte ihre Aufmerksamkeit erregt. Nur jemand, der Ada schon vor ihrer Heirat gekannt hatte, würde sie so nennen. Es war eine altmodische, respektvolle Anrede. Ein Dienstbote hätte vielleicht eine junge Dame so genannt. War Meggy ein Dienstmädchen in Colonsay gewesen?
Vielleicht wusste Enderby etwas darüber.
Der Absatz darüber, dass Ada hoffte, Meggy würde verhungern, klang sehr unangenehm nach Rosamunds Großmutter. Sie hatte nie einen Sinn für die Armen und Unglücklichen dieser Welt gehabt. Der Rest des Briefs überstieg Rosamunds Verständnis. Wieso hätte Meggy Geld von »Schmierblättern« bekommen können? Was konnte sie denen erzählen? Wusste sie etwas von einer politischen Affäre? Kannte sie ein Geheimnis, mit dem sie Ada erpressen konnte? Und was hatte sie bisher davon abgehalten, genau das zu tun – abgesehen von Jonahs Zimperlichkeit? Außerdem musste Ada gewusst haben, wo Jonah steckte. Irgendwie ergab das alles keinen Sinn.
Rosamund gähnte. Jetzt war sie müde und konnte schlafen. Sie packte alles wieder in den Karton, stellte den Schutzschirm vor den Kamin und ging ins Bett. Gerade als sie wegdämmern wollte, schoss ihr eine weitere unbeantwortete Frage durch den Sinn. Wer war überhaupt dieser Jonah?
Enderby Munro wohnte in einem Altersheim in Queenscliff, einer kleinen Stadt genau gegenüber von Colonsay auf der Bellarine-Halbinsel. In den 1880ern war dort wegen der strategisch günstigen Position an der Einfahrt in die Port Phillips Bay ein Fort direkt am Strand errichtet worden. Man hatte damals eine russische Invasion gefürchtet. Cosmo war unter den Freiwilligen gewesen, die sich dort einer militärischen Grundausbildung unterzogen. Diese Zeit in seinem Leben hatte seine Überzeugung gestärkt, dass Australien geeint und nach außen durch ein eigenes Heer verteidigt werden müsse.
In Queenscliff gab es eine ganze Reihe alter Hotels, die aus der viktorianischen Blütezeit der Stadt stammten, als es groß in Mode gewesen war, die Sommerfrische am Meer zu verbringen. Den Fähranleger gab es immer noch, aber heute waren die Fähren schlank und schnell. Kein Vergleich mehr mit den Raddampfern zu Cosmos Zeit.
Das Altersheim war kostspielig, hatte Gary erzählt, aber Enderby konnte es sich leisten. »Er ist jetzt fast schon zehn Jahre dort. Manchmal denke ich, ihm gehört das Haus, wenn ich höre, wie er das Personal herumkommandiert. Sie sind aber alle sehr nett und lassen ihn einfach machen.«
Es nieselte. Durch die Scheiben des Wagens beobachtete Rosamund ein paar Touristen in Regenmänteln und Gummistiefeln vor den Schaufenstern der Läden. Die Einheimischen waren vernünftiger und blieben zu Hause.
Weder Rosamund noch Gary hatten auf der Fahrt viel ge-sprochen. Gary schien seinen eigenen Gedanken nachzuhängen, und Rosamund beschäftigten nach wie vor die Ausführungen von Graham Peel-Johnson. Wenn Mark ihr Colonsay nahm, was blieb ihr dann noch?
Gary bog in eine ruhige Straße ein und hielt vor einem großen Haus mit einer riesigen Veranda. Waterside Home verkündete ein Schild am Eingang.
»Alles in Ordnung?« Gary sah sie an.
Sie wich seinem Blick aus. »Mark hat mir gestern einen Anwalt vorbeigeschickt. Er will, dass ich eine Vereinbarung unterzeichne.«
»Was für eine Vereinbarung?«
»Für den Fall einer Scheidung. Um sein Vermögen zu schützen.«
Gary lachte ungläubig. »Ist das legal?«
»Keine Ahnung. Er will Colonsay behalten.«
»Wirst du das zulassen?«
Nun schaute sie ihm ins Gesicht. »Was glaubst du?«
Er grinste. »Tja, nun … Ich frage mich, ob du dich nicht glücklich schätzen würdest, wenn du es los bist. Nach allem, was vorgefallen ist.«
Langsam schüttelte sie den Kopf. »Nein, überhaupt nicht. Und nicht nur, weil ich sonst nicht wüsste, wohin ich gehen sollte. Ich habe mich verändert, Gary. Du hast keine Ahnung, wie mein Leben in den letzten Jahren an Marks Seite ausgesehen hat. Ich war ein Nichts. Colonsay hat meinem Leben einen Sinn gegeben. Ich fühle mich wieder lebendig.«
»Dann musst du gegen ihn antreten. Mach ihn nieder! Ich werde dir dabei helfen.«
Sie wandte sich ihm zu. »Willst du das wirklich machen?«
»Das weißt du doch, Rose.« Er tippte ihr sanft auf die Schulter. »Und jetzt komm und vergiss Mark. Lass uns lieber hören, was Enderby zu erzählen hat.«
Eine Pflegerin öffnete ihnen die
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