Der Fluch von Colonsay
schockierten Rosamund. Auch Kerry sah überrascht aus. »Du solltest das Haus verlassen.«
»Nein, im Augenblick ist es ganz in Ordnung. Ich habe euch ja gesagt, dass es manchmal besser und manchmal schlechter ist. Im Moment halte ich es aus. Macht euch aber keine Sorgen, sollte ich mit einem Mal aufspringen und rausrennen. Schaut nur, dass ihr mir nicht im Weg seid.«
Sie lachten, aber freudlos.
»Zephyr glaubt, dass sie dir helfen könnte, damit zurechtzukommen«, sagte Rosamund schließlich.
Gary lächelte schief. »Sie glaubt, ich würde in ihre Fußstapfen treten, weil ich immer schon Dinge gehört und gesehen habe. Oder gefühlt. Dass das so ist, damit habe ich mich schon lange abgefunden. Aber es war nie so schlimm wie in Colonsay. Das ist außergewöhnlich.«
»Hätten wir doch schon früher darüber gesprochen!« Rosamund sah nachdenklich aus. »Ich meine, als wir jung waren.«
»Du wärst schreiend davongerannt.«
Das wollte sie nicht akzeptieren.
»Sogar jetzt tust du dich schwer damit, oder?«
Rosamund schüttelte den Kopf, die Kehle wurde ihr eng. »Hast du jemals Blut die Wände herunterrinnen sehen, Gary?«
Kerry und Gary starrten sie mit offenem Mund an.
»Tut mir leid«, stotterte sie. »Das wollte ich eigentlich nicht so ausdrücken. Aber ich habe es gesehen. Blut. Gewalt. Ich denke, Zephyr hatte recht. In diesem Haus ist etwas ganz Schreckliches geschehen. Ich habe jedoch keine Ahnung, was das gewesen sein könnte.«
Gary nickte langsam. »Vielleicht solltest du mit Enderby sprechen. Wenn jemand etwas darüber weiß, dann mein Großvater. Die Cunninghams sind für ihn das Größte.«
»Wird er – ich meine, kann er …« Rosamund brach ihre Frage ab.
Gary lachte. »Ja. Er kann und er wird. Enderby hat durchaus noch alle Tassen im Schrank.« Er zog ein Gesicht. »Manchmal glaube ich, er ist fitter im Kopf als ich.«
Rosamund antwortete nicht. Enderby wiederzusehen war wie eine indirekte Begegnung mit ihrer Großmutter Ada. Nur pure Verzweiflung ließ sie dem Besuch zustimmen.
15
Sie hörten sie nicht kommen. Ihre bloßen Füße glitten lautlos über die staubigen Bodendielen. Sie ahnten nichts von ihrer Anwesenheit, bis sie direkt vor ihnen stand. Ihr helles Nachtgewand schimmerte im Mondlicht, und ihr blondes Haar hing ihr in wilden Locken über die Schultern. Ihr Lächeln war triumphierend.
»Ich wusste, dass ihr hier steckt.«
Alice sprang auf. »Miss Ada!«
»Miss Ada!«, äffte Ada Alice nach und lachte. »Ich habe dich beobachtet, wie du nach oben geschlichen bist, Alice Parkin. Hast dich nach Bertie gesehnt und ihn gesucht. Was aber sollte Bertie von so einem hässlichen Mädchen wie dir wollen? Er kommt nur, weil du ihm Kuchen mitbringst.«
Alice ignorierte die verletzenden Worte, denn diese Ausdrucksweise war für Ada normal. Sie sah, dass die Kleine begehrlich auf die Serviette schielte. »Möchtest du Karamell?«, fragte sie. »Du kannst etwas davon haben, wenn du Stillschweigen bewahrst.«
»Nimm dir etwas und halt den Mund«, sagte Bertie schroff. Er betrachtete seine Schwester mit echtem Widerwillen. »Es wird deine Zähne ruinieren.«
Ada nahm ein hartes Stück Karamell aus seiner Hand, leckte gedankenverloren daran, steckte es sich in den Mund und lächelte.
»Ich werde euch trotzdem verpetzen«, verkündete sie und wandte sich zur Treppe.
Bertie erhob sich. »Das wirst du nicht tun«, rief er ihr leise nach, aber neben Verärgerung schwang in seiner Stimme auch Furcht mit.
Ada registrierte das und reagierte darauf. Sie bewegte sich im Schatten. In ihrem langen Nachthemd und mit den blonden Haaren sah sie aus wie ein Engel. »Werd’ ich doch«, zischte sie. »Ich kenne eine Menge Geheimnisse, Bertie. Schlimme Sachen, die mir wehtun. Ich kann nichts verraten, weil Mama sagte …« Doch sie biss sich auf die Lippen, bevor heraus war, was Am-brosine gesagt hatte. Durch die Anstrengung des Unterdrückens der Worte glänzten Tränen in ihren Augen. »Hoffentlich verprügelt dich Vater richtig«, presste sie mit erstickter und wütender Stimme hervor. »Alice ist eine Dienstmagd. Sie kann nicht deine Freundin sein. Wir Cunninghams sind für sie viel zu gut.«
»Du dumme snobistische Gans«, schnappte Bertie. So lautlos, wie sie gekommen war, verschwand seine kleine Schwester wieder.
Alice hielt den Atem an und beobachtete ihn. Schmerz und Wut tobten in ihrer Brust, sodass sie sich fühlte, als hätte sie zu viele unreife Pflaumen genascht. Langsam strich
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