Der Fluch von Colonsay
gerichtet.«
Rosamund wusste nicht, ob sie lachen oder weinen sollte. Sie hatte so hohe Erwartungen in diesen Besuch gesetzt – und jetzt das! Was für ein lächerliches Hirngespinst!
»Es ist wahr«, sagte Enderby sanft. Er beobachtete sie mit glänzenden Augen. »Wurde alles vertuscht. Stell dir vor, wie ein solcher Skandal den guten Namen Cunningham in den Schmutz gezogen hätte. Deine Großmutter hat die Gründe für das Vertuschen nie infrage gestellt. Sie hätte alles getan, um dem Familiennamen einen Makel zu ersparen.«
»Aber wie konnte Großmutter Ada überhaupt davon wissen?« Rosamund klang ungläubig und verärgert. »Sie war ein Kind, als ihre Eltern starben.«
Enderby beugte sich noch weiter vor. »Sie war dort. Auch wenn sie noch ein Kind war. Kinder sehen und verstehen mehr, als die meisten Erwachsenen sich vorstellen können. Und es ist nicht sehr wahrscheinlich, dass Ada vergessen konnte, was geschehen war. Ihr Vater hatte ihre Mutter ermordet und anschließend sich selbst umgebracht. Plötzlich war sie eine Waise, einsam, der Fürsorge fremder Leute überlassen. Nein, es war sehr unwahrscheinlich, dass Ada je vergessen könnte, was damals geschehen war.«
Er wartete, bis Rosamund das Gehörte verarbeitet hatte, bevor er fortfuhr. »Eine Zeit lang wollte sie die Lüge sogar glauben, das wäre einfacher gewesen. Eine große Liebe, ein tragisches Ende. Alles, nur nicht die Wahrheit ans Licht kommen lassen. Ich glaube, irgendwie hoffte sie, dass sie vielleicht als Kind etwas missverstanden hätte. Sie bat mich, die Geschichte für sie zu überprüfen, und wusste, dass sie mir vertrauen konnte. Ich habe Fakten überprüft, mit Leuten gesprochen und genug herausgefunden, um ihre Erinnerungen zu bestätigen.«
Für einen Augenblick wirkte Enderby traurig. »Schätze, ich hätte ihr was vormachen können. Sie wäre erleichtert gewesen. Aber Ada hätte das nicht gewollt. Sie war stark genug, um sich der Vergangenheit zu stellen. Also habe ich ihr die ungeschminkte Wahrheit erzählt. Und dir werde ich sie jetzt auch sagen, Rosie. Bist du aus dem gleichen Holz geschnitzt wie deine Großmutter? Oder gehörst du zu diesen schwachen jungen Frauen, die allen Unannehmlichkeiten aus dem Weg gehen?«
Rosamund wischte die letzte Bemerkung mit einer Handbewegung vom Tisch. »Aber die Geschichte ist doch allgemein bekannt. Ambrosine starb in den Armen ihres Ehemannes an Grippe, und kurz darauf segelte Cosmo hinaus in sein feuchtes Grab. Jeder weiß das.«
Enderby schenkte ihr einen beinahe mitleidigen Blick. »Genau.«
»Ich kann es einfach nicht glauben«, wiederholte Rosamund. »Die Vorstellung ist so … ungeheuerlich. Enderby, wissen Sie, was Sie da behaupten? Können Sie irgendetwas davon beweisen?«
»Natürlich.« Er schenkte seinem Enkel einen amüsierten Seitenblick. »Geh und hol das Album aus meinem Zimmer. Die Nummer zwei.«
Gary erhob sich gehorsam.
»Wie viele dieser Alben gibt es?«, fragte Rosamund, um die Unterhaltung auf normale Themen zu lenken. Ihr Weltbild drohte jeden Augenblick tiefe Risse zu bekommen.
»Fünfzehn, nach der letzten Zählung. Natürlich hat dein Ehemann zuletzt auch ein paar Seiten gefüllt, obwohl er kein Cunningham ist, sondern nur eine solche geheiratet hat.«
Sie mochte den abschätzenden Blick nicht, den er ihr zuwarf, und schwieg lieber. Der Zustand ihrer Ehe ging Enderby nichts an.
»Ich begreife das nicht«, meinte sie mehr zu sich selbst. »Wenn auch nur ein Körnchen Wahrheit in dem steckt, was Sie behaupten, wie konnte dann alles so lange geheim bleiben?«
»Das war nicht schwierig. Wie viele Leute mussten denn zum Schweigen gebracht werden? Ada war ein Kind und zählte nicht. In jenen Tagen hatten Kinder nichts zu sagen. Die Dienstboten? Die bekamen Geld und wurden genötigt, sich in einer anderen Gegend anzusiedeln. Und wenn sie später etwas ausplauderten, wer würde ihnen schon glauben? Vielleicht waren sie sowieso zu entsetzt und zu ängstlich zum Reden. Es war eine Angelegenheit von nationaler Bedeutung, und die Leute taten damals in der Regel, was die Obrigkeit sie zu tun anwies. Sie schütteten ihr Herz nicht dem erstbesten Zeitungsfritzen aus, der ihren Weg kreuzte.«
Rosamund blickte ihn scharf an. »Hätte sich später die Klatschpresse noch dafür interessiert? In den 1920ern?«
Enderby gackerte. »Na, was glaubst du denn?«
Gary schlängelte sich durch die Liegestuhlreihen und sah sie fragend an, als er sich setzte. »Da ist es. Nummer
Weitere Kostenlose Bücher