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Der Fluch von Colonsay

Titel: Der Fluch von Colonsay Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kaye Dobbie
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leeren Zimmer.
    ***
    Mrs Gibbons war wieder unterwegs gewesen. Alice hörte sie, wie sie an ihrem Fenster vorbeiging. Diesmal sang sie ein anderes Lied, irgendetwas von zwei kleinen Mädchen in blauen Kleidern. Mrs Gibbons schien ausgesprochen gern zu singen.
    Alice fragte sich, worüber sie und Harry Simmons wohl redeten. Sie hatte gehört, Harry wäre in den Tagen des Goldrauschs Schausteller gewesen. Er war mit seinem Zelt von Stadt zu Stadt gezogen, hatte Lieder gesungen und Vorstellungen gegeben.
    Sie lächelte in sich hinein. Ob Mrs Gibbons und der alte Harry im Polkatakt die Füße lüpften und rings um den Sumpf tanzten? Rezitierte Harry Gedichte im Mondschein, während Mrs Gibbons auf der feuchten Erde zu seinen Füßen saß und ihn aus ihrem runden weißen Gesicht mit glutvollen Augen ansah?
    Diese Vorstellung lag für sie fern jeder Wahrscheinlichkeit.
    Ihr Lächeln verschwand. Sie erfand irrwitzige Geschichten zu ihrer eigenen Unterhaltung und um sich abzulenken. Weil Bertie fort war. Er hatte gestern das Haus verlassen, und Alice vermisste ihn unsäglich. Sie fragte sich, ob er an sie dachte. Meggy würde das sicher verneinen, aber Alice glaubte fest daran. Bis zum Schluss hatte er gebeten, gebettelt und Ambrosine angefleht, ihn zu Hause zu behalten. Im Gegenzug hatte seine Mutter versucht, ihm den Abschied zu erleichtern, indem sie von seinen neuen Freunden und dem Spaß sprach, den er haben würde. Als ihn das nicht aufgeheitert hatte, war sie ungeduldig geworden und hatte ihn gereizt zurechtgewiesen, dass sein Vater die Angelegenheit entschieden hätte und Bertie sich fügen müsse.
    »Mr Cunningham sagt, die Schule, die man besucht, ist ebenso wichtig wie die Frau, die man heiratet«, unterrichtete Mrs Gibbons die Mädchen beim Abendessen. »Ich schätze, unser kleiner Bertie wird eines Tages ebenso berühmt wie sein Vater.«
    Alice kaute auf ihrem Butterbrot und wusste keine passende Antwort. Meggy drückte ihr unter dem Tisch die Hand.
    Draußen bellte der Hund. Alice drehte sich auf dem quietschenden Bett um und starrte in die Dunkelheit. Sie konnte die Umrisse des Wasserkrugs und der Waschschüssel nur erahnen, ebenso das Handtuch und die niedrige Kommode, die sie mit Meggy teilte. Die oberste rechte Schublade enthielt Alice’ Kamm, zwei sorgfältig zusammengelegte Taschentücher, ein angelaufenes Fläschchen Veilchenwasser und Mr Marlings Knopf. Außerdem einen Rauchquarz, der einst zu einem Ohrring ihrer Großmutter gehört hatte, jetzt aber als Anhänger einer Halskette diente.
    Sie hatte überlegt, den Knopf wegzuwerfen, aber jedes Mal, wenn sie ihn in die Hand nahm, zwang irgendetwas sie, ihn doch zu behalten.
    Ihre Gedanken begannen zu schweifen. Alice hatte Mr Marling nachmittags in der Eingangshalle getroffen. Sie war mit einem Krug Brunnenwasser aus dem Keller gekommen, und Mr Marling war hurtig die Stufen heruntergeeilt, als ob er zu spät zu einer wichtigen Verabredung kommen würde. Am Fuße der Treppe angekommen, hatte er sich sichtlich verlegen umgedreht und Alice erblickt.
    »Würdest du mir meinen Hut und meinen Stock holen, Alice? Ich würde es ja selbst tun, aber Mrs Gibbons könnte mich dabei ertappen. Vor ihr fürchte ich mich regelrecht.«
    Alice hatte über seine Worte gelächelt. Sie bezweifelte, dass Mr Marling sich überhaupt jemals fürchtete. Er hatte so einen gewissen Ausdruck in den Augen. Sie eilte davon, holte Hut und Stock und händigte ihm beides aus. Er bedankte sich. Überhaupt war er immer nett zu ihr. Vielleicht aus diesem Grund wagte sie es, ihm eine Frage zu stellen. »Ist das Gemälde bald fertig, Sir?«
    Er stand vor dem ovalen Spiegel, seinen Hut zurechtrückend, blickte sie an und hob eine Augenbraue. Mrs Gibbons behauptete, für einen Mann sei er ziemlich eitel. Alice dachte bei sich, er hätte jeden Grund dazu. Nicht viele Männer sahen so gut aus wie Mr Marling.
    »Ja, es ist bald fertig, Alice.«
    »Was werden Sie dann tun, Sir? Wenn es fertig ist, meine ich.«
    Er hängte sich den Spazierstock über den Arm und zögerte. »Weißt du, darüber habe ich noch gar nicht nachgedacht, Alice. Ich weiß nicht, was ich dann machen werde. Aber zweifellos wird sich etwas ergeben.«
    Alice hatte vor einiger Zeit die Gouvernante mit Adas Kinderfrau leise über Mr Marling tuscheln gehört. »Sie sagen, er sei ein Bohemien«, hatte die Gouvernante geflüstert. Ihre Stimme klang dabei gleichzeitig aufgeregt und schockiert. Deshalb wusste Alice, dass Bohemien kein

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