Der Fluch von Colonsay
an den Umständen, war sie jedoch wirklich freundlich behandelt worden. Einer von den Jungs hatte ein paar Takte auf der Gitarre gespielt, und Rosamund hatte gesungen.
Sofort hatte sich der Gesichtsausdruck ihrer Zuhörer geändert. Sie hatten zuerst einander und dann sie angesehen. Dave war in jenen Tagen auf der Suche gewesen. Viel später hatte er ihr mit einem Lachen erzählt, dass er es vom ersten Augenblick an gewusst hatte: Sie besaß alles, was ein Star brauchte.
»Du hast eine gute Stimme«, sagte er zu der jungen Rosamund. »Nimm ein paar Gesangsstunden, lerne, was du damit machen kannst. Du musst sie kontrollieren, nicht umgekehrt. Und finde ein paar Songs, die zu dir passen. Dann melde dich wieder bei mir, und ich werde sehen, was ich für dich tun kann.«
Rosamund war ein bisschen enttäuscht, aber auch ein bisschen erleichtert gewesen, dass sie sie nicht sofort mitnahmen. Sie hatte die Visitenkarte eingesteckt, die Dave ihr gab.
Stundenlang war sie danach wie im Traum über die Klippen gewandert. Sie hatte versucht, sich ein Leben vorzustellen, dass sich von ihrem bisher gekannten völlig unterschied. Es war ihr ein wenig vorgekommen wie in den Fernsehserien, die sie sich eigentlich nicht ansehen durfte. Als sie endlich nach Hause gekommen war, hatte Ada sie zur Strafe auf ihr Zimmer geschickt, aber das war es wert gewesen.
Rosamund hatte ihren ganzen Mut zusammengenommen und Ada gebeten, sie Gesangsstunden nehmen zu lassen. Ada hatte sie nie zurückgehalten, hatte sie sogar ermutigt. Für sie war der Gesang eine äußerst passende Beschäftigung für eine junge Dame, solange er zur Unterhaltung im Familien- und Freundeskreis genutzt wurde. Sie hatte keine Ahnung, dass Rosamund von Bühnenauftritten vor Fremden und gegen Bezahlung träumte. Sie konnte sich einfach nicht vorstellen, dass Rosamund Colonsay verlassen und sich in die moderne Welt hinausbegeben wollte, von der ihre Großmutter nur sehr verschwommene Bilder im Kopf hatte.
Innerhalb eines Jahres hatte Rosamund viel gelernt. Ihre Lehrerin war ganz aufgeregt gewesen, als sie sie zum ersten Mal gehört hatte. »Ich will jetzt nicht behaupten, eine Gesangskarriere wäre für dich selbstverständlich, Rose, aber Talent hast du.«
Talent besaßen viele, wie es schien, aber es gehörten weitere Zutaten zu einer Karriere. Ehrgeiz und Entschlossenheit, das passende Naturell und die richtigen Kontakte. Zumindest Letztere hatte Rosamund. Sie nahm Daves Visitenkarte aus ihrem Versteck im Schmuckkästchen, schrieb einen Brief und warf ihn auf dem Weg zur Gesangsstunde in den Briefkasten. Nach einem Monat voller Bauchschmerzen war Daves Antwortschreiben gekommen. Ada hatte den Brief geöffnet.
Die Reaktion war wie erwartet ausgefallen.
»Du wirst nicht zu diesem Mann fahren. In Kneipen auftreten! Das werde ich niemals erlauben, Rosamund.« Adas Stimme hatte vor Zorn gebebt. »Geh auf dein Zimmer.«
Verzweiflung erfüllte Rosamund.
»Ab sofort gibt es keine Gesangsstunden mehr. Es wird überhaupt nicht mehr gesungen. Ich dachte, deine Stimme sei eine Gabe, Rosamund. Jetzt erkenne ich, dass sie ein Fluch ist.«
Verärgerung hatte die Verzweiflung abgelöst. Rosamund hatte sie in sich aufsteigen gefühlt wie eine große, befreiende Welle. »Ich werde weiterhin singen, und ich werde meine Verabredung mit Dave wahrnehmen. Du kannst mich nicht aufhalten!«
»Das kann ich nicht?«, hatte Ada gekreischt. »Du wirst sehen, wie ich das kann, Mädchen. Du bist eine Cunningham, und Cunninghams stellen sich nicht zur Belustigung anderer zur Schau.« Doch dabei hatte sie so alt und kraftlos ausgesehen, dass Rosamund keine Angst mehr gehabt hatte.
»Ich verlasse dieses Haus«, hatte sie mit rauer, gepresster Stimme und kurz vor dem Weinen geflüstert. »Ich gehe, Großmama Ada.«
Die alte Dame hatte sie mit hartem Blick angestarrt. »Wenn du jetzt gehst, kommst du mir nicht mehr hierher zurück«, hatte sie gesagt, und Rosamund hatte nicht daran gezweifelt, dass sie das ernst meinte. Ada hatte nie etwas gesagt, was sie nicht meinte.
»Dann werden wir uns eben nie mehr sehen.«
Von der Tür her war ein überraschter Laut gekommen. Rosamund hatte nicht gemerkt, dass Kerry Scott dort stand.
»Du hast mein Vertrauen missbraucht. Das werde ich dir nie verzeihen. Du bist eine Cunningham, die Letzte unserer Linie. Du wirst dieses Haus erben, wenn ich einmal tot bin.«
Dieses Versprechen hatte Rosamund eher erschreckt. »Nein, ich will Colonsay nicht. Ich hasse
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