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Der Fluch von Colonsay

Titel: Der Fluch von Colonsay Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kaye Dobbie
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anderen hinauf. Sie bemühte sich um den Anschein von Normalität, während ihr gleichzeitig das Adrenalin durch den Körper schoss, sie zu einer schnelleren Gangart antreiben wollte, sie zwingen wollte, die Treppe hochzustürmen und sich in Sicherheit zu bringen. Oben angekommen, trat sie sofort in die Eingangshalle und knallte die Tür hinter sich zu.
    Ihre Erleichterung war nur von kurzer Dauer.
    Rosie.
    Die Stimme schien aus dem hinteren Teil des Hauses zu kommen. Der Ruf klang tief und gedehnt, fast wie ein Seufzen.
    Rosamund verlor die Fassung und eilte stolpernd Richtung Küche. Sie fühlte sich, als ob eine riesenhafte Hand ihr die Brust zusammendrückte, ihre Lungen quetschte, ihr den Atem raubte.
    Kerry stand am Tisch und goss Tee in ein Dutzend Becher. Daneben stand eine große Platte mit belegten Broten. Verwundert über Rosamunds stürmischen Auftritt blickte sie auf. »Ist was passiert?«
    Rosamund warf einen flüchtigen Blick auf die Außentür zum Garten. Dort stand ein Mann gegen den Rahmen gelehnt, als hätte er alle Zeit der Welt. Er trug kurze Hosen und sonst fast nichts. Sein blondes, lockiges Haar umstand seinen Kopf wie ein Heiligenschein. Irgendwie kam er Rosamund bekannt vor, in ihrem augenblicklichen Zustand konnte sie ihn jedoch nicht einordnen.
    »Sie sehen blass aus«, fuhr Kerry fort. Zu dem Mann an der Tür sagte sie dann: »Nimm deinen Tee, Gary.«
    Gary nickte Rosamund zu. Seine verhangenen Augen waren blau, und sein lässiges Lächeln beendete Rosamunds panischen Ausbruch ebenso effektiv wie eine Leitplanke die Schleuderfahrt eines Wagens. Er wartete, während Kerry Milchkrug und Zuckerdose auf das Tablett stellte, und hob es dann überraschend behutsam hoch. »Danke, Kerry. Ich bringe alles heil zurück, sobald wir fertig sind.«
    »Das weiß ich doch, Gary.«
    Ein weiteres Nicken in Rosamunds Richtung, und weg war er.
    »Das war Gary«, erklärte Kerry unnötigerweise und musterte sie.
    »Das habe ich gehört.«
    »Erinnern Sie sich nicht an ihn? Gary Munro, Enderbys Enkel?«
    Die Vergangenheit stieg in ihr hoch. In den Zwanzigerjahren hatte Enderby Munros Familie das alte Hotel bei den Quellen betrieben. Diese Quellen, Clifton Springs, waren einst berühmt für ihre Heilkraft gewesen. Die Menschen waren aus Geelong und Melbourne über die Bucht gefahren, mit Dampfschiffen, die damals noch regelmäßig verkehrten. Die Quellen hatten den Bewohnern der Halbinsel eine Möglichkeit zum Geldverdienen eröffnet. Munros Hotel war häufig bis unters Dach ausgebucht gewesen. Rosamund erinnerte sich an eine alte Zeitungsanzeige, die die heilenden Quellen pries und Linderung für alle Leiden von der Syphilis bis zur Tuberkulose versprach.
    Als Rosamund geboren wurde, gab es das Hotel nicht mehr. Es war dem Bauboom auf der Halbinsel in den 1950ern und 1960ern zum Opfer gefallen. Dieselben Baufirmen hatten auch den Großteil des Cunningham’schen Grundbesitzes aufgekauft. Doch die Geschichten waren noch lebendig gewesen. Enderby und Ada hatten oft darüber gesprochen: über die Blütezeiten seines Hotels und ihrer Familie.
    Gary Munro hatte mit seinen Eltern in Melbourne gelebt. Doch zehn Jahre lang kam er in den Sommerferien zu seinem Großvater auf die Halbinsel Bellarine. Er war ein launischer Junge gewesen und Rosamund ein ruhiges, scheues Mädchen. Soweit sie sich erinnerte, hatten sie nicht viel miteinander gesprochen.
    »Warum arbeitet er für Fred Swann?«, fragte sie schließlich. Ihr Herzschlag hatte sich inzwischen beruhigt, und ihre Atmung ging normal.
    »Er braucht das Geld. Er versucht sich als Schriftsteller. Vorher war er Journalist bei einer Zeitung in der Stadt, vielleicht kennen Sie seine Kolumne. Doch als er sich entschloss, einen Roman zu schreiben, zog er hierher. Und jetzt arbeitet er für Mr Swann. Ich hoffe, wenn er mit seinem Buch fertig ist, kann er den Job aufgeben.«
    Rosamund dachte nach. Gary Munro ein berühmter Schriftsteller? Irgendwie konnte sie sich das nicht vorstellen.
    »Ich habe ihm erzählt, dass Sie hier sind«, fuhr Kelly fort. »Ich dachte, Sie würden ihn erkennen.«
    »Das ist zwanzig Jahre her, Kerry.«
    Kerry wischte die Arbeitsfläche sauber. »Sie haben sich immer auf seine Besuche gefreut.«
    O süße Täuschung der Erinnerung, dachte Rosamund. Die freundlichste Regung, die ihr Gary Munro je abgerungen hatte, war Gleichgültigkeit.
    Sie fragte sich jedoch, ob Gary wohl damals die Stimmen gehört hatte. Oder die Schritte. Die Schritte in einem

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