Der Frauenhaendler
ruhig, auch der Geist.
Nachdem ich Italien verlassen hatte, bin ich durch die Welt gereist. Südamerika, Asien, Vereinigte Staaten, Kanada. Geld hatte ich im Überfluss. Unseren Reichtum hatte meine Mutter mit in die Familie gebracht. Obwohl ich verschwunden war und mich auch während ihrer Krankheit nie hatte blicken lassen, hat sie mir dennoch ihr gewaltiges Erbe vermacht. Das löst in mir Reue aus und Trauer, jetzt und in alle Ewigkeit. Erst nach dem Tod meines Vaters habe ich davon erfahren und sofort den Auftrag erteilt, alles zu verkaufen. Hinter mir verbrannte Erde, vor mir ein blühender Teppich. Ich fand mich als Besitzer von achtundzwanzig Milliarden wieder. Das war eine schöne Summe vor zehn Jahren. Und sie ist es noch.
Das Vermögen von Amedeo Sangiorgi habe ich nicht angerührt. Bei jenem letzten Treffen in der Kanzlei von Ugo Biondi habe ich den Notar angewiesen, sein gesamtes Geld und seinen gesamten Besitz wohltätigen Zwecken zukommen zu lassen. Unter besonderer Berücksichtigung der Mafiaopfer.
Feliciana kommt aus der Küche, mit leisen Schritten wie immer. Sie ist mittleren Alters, von robuster Statur und hat die typische Hautfarbe einer Latina. Seit sieben Jahren kümmert sie sich um mich und das Haus, unterstützt von einem Mädchen, das nicht bei uns wohnt, sondern jeden Tag aus Piedras Negras heraufsteigt. Außerdem haben wir einen Gärtner und Mädchen für alles, Cristóbal, der sich um die kleinen Instandhaltungsarbeiten kümmert, die in einem solchen Haus ständig anfallen. Er ist von undefinierbarem Alter, hat vier Kinder und zwei Frauen, ist dabei fröhlich und lächelt unentwegt. Er lebt in La Guardia und kommt jeden zweiten Tag mit einem Lieferwagen voller Gerätschaften hochgefahren. Sein Atem riecht oft nach Wein, und im Mund fehlt ihm der ein oder andere Zahn.
Ein rätselhaftes Lächeln, hätte Bistecca gesagt.
Feliciana legt ein paar Zeitungen auf den Tisch.
» Señor , hier sind die Zeitungen aus Italien. Cristóbal hat sie aus Porlamar mitgebracht.«
Ich greife nach dem »Corriere della Sera«, der eine weite Reise hinter sich hat. Als ich die Zeitung aufschlage, erinnert mich Feliciana daran, dass sie nicht nur Haushälterin, sondern auch Köchin ist.
»Was möchten Sie heute essen?«
»Rührei und Toast. Dann Kaffee und ein Stück von deinem Kokoskuchen, falls du welchen gebacken hast.«
Feliciana schaut mich empört an.
»Natürlich habe ich den gebacken. Felicianas Kuchen fehlt nie in diesem Haushalt.«
Ich lebe seit über acht Jahren hier, und mein Spanisch hat mit der Zeit eine Entwicklung durchgemacht: von erbärmlich über anständig bis hin zu dem, was man perfekt nennen könnte. Meine unvergleichliche Haushälterin hingegen hat keinerlei Interesse an anderen Sprachen und spricht nicht ein einziges Wort Italienisch.
Sie versteht es, aber sie spricht es nicht.
Andererseits, warum sollte sie?
Nun entfernt sie sich, ein wenig beleidigt, weil ich es gewagt habe, daran zu zweifeln, dass sie ihr Meisterdessert auch heute zubereitet hat. Ich versenke mich in die Lektüre von Ereignissen, auf die ich nach so vielen Jahren nicht mehr wirklich neugierig bin. Manchmal habe ich das Gefühl, dass man, wenn man die Zeitungen von vor zehn Jahren nehmen und die Namen austauschen würde, dieselben Artikel abdrucken könnte. Die Streitsucht der Politiker, der Süden, der nicht vorankommt, die Arbeiterklasse, die nicht im Paradies lebt. Trotz allem aber bin ich ein Emigrant. Ein bisschen, nur ein bisschen, Heimweh bleibt immer.
Hier auf der Isla Margarita treffen die italienischen Zeitungen immer mit ein paar Tagen Verspätung ein.
Heute ist der elfte Mai.
Das Exemplar des »Corriere«, das ich in den Händen halte, trägt das Datum vom neunten Mai.
Vor zehn Jahren genau an diesem Tag wurde im Kofferraum eines R4 der leblose Körper von Aldo Moro gefunden. Das trostlose Bild wird auf der dritten Seite noch einmal präsentiert, inmitten eines Artikels, der die Etappen seines Leidenswegs in Erinnerung ruft.
Ich denke an wenige kalte Worte in einem Hotelzimmer.
Aldo Moro ist längst ein toter Mann …
Das Staatsbegräbnis hat die Resonanz gefunden, die man bei einer Persönlichkeit seines Formats, die unter derart tragischen Umständen ums Leben gekommen ist, erwarten konnte und musste. Die Beerdigungen meines Vaters und meines Onkels sind mit derselben verstohlenen Eile vonstattengegangen, mit der man Dreck unter den Teppich kehrt. Niemand wollte sie aufbahren lassen,
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