Der Fremde aus dem Meer
Schluchzer ließen ihre Schultern immer wieder erbeben. Mit fest zusammengepressten Augen grub sie die Zähne in den Stoff, bis ihr die Zähne wehtaten. Ihr angespannter Körper krümmte sich. Der Drang, irgendetwas zu werfen, zu zerschmettern - irgendetwas wühlte in ihr. Sie kämpfte um ihre Unbescholtenheit, ihren makellosen Ruf. Sie sank in die Knie und umschlang ihren Oberkörper mit beiden Armen. Penelope weinte aus Schrecken und Zorn und ungeheurem Schuldgefühl, was nichts mit ihrem ersten Interview nach zehn Jahren zu tun hatte. Und dieser fürchterliche, bohrende Schmerz war von derselben Art wie die sie noch immer heimsuchenden Qualen ihrer Kindheit.
O Gott, Tess, was habe ich getan?
Erschöpft stieß sie gegen einen Stuhl. Sie setzte sich und wischte sich die feuchten Wangen ab. Schniefend suchte sie den Frisiertisch ab: Keine Nachrichten. Zum Kuckuck noch mal! Sie stützte die Ellbogen auf den Tisch und bedeckte das Gesicht mit den Händen, kämpfte um ihre Selbstbeherrschung. Dann hielt sie die Hände vor die Augen, um sich gegen das helle Licht der Kosmetiklampen zu schützen, und griff apathisch nach dem Telefon. Penny wählte, sprach kurz, unterbrach die Verbindung und wählte von neuem. Sie trocknete die Augen und putzte sich die Nase, während sie auf die Verbindung wartete.
»Tony? Ich bin’s, Penelope.«
»Nach all den Jahren, meine Liebe, erkenne ich doch deine Stimme. Wie ist das Interview gelaufen?«
»Erinnere mich daran, dich zu feuern, weil du mich dazu gedrängt hast.«
Er lachte kurz. »Ich werd’s mir aufschreiben.« Es entstand eine Pause, bevor er leise sagte: »Irgendeine Nachricht von Tess?«
»Nein, verdammt noch mal, und ich halte das auch nicht länger aus. Würdest du Daniel bitten, den Learjet abflugbereit zu machen? Ich fliege dorthin. Noch heute.«
Crooked Island, Bahamas 1989
Geduckt lief Lieutenant Bindar vom Seenotrettungsdienst der Bahamas los, während sich die Propellerblätter des Hubschraubers zu einem schwerfälligen Wirbel verlangsamten. Die Tür flog auf, und ein Paar bestrumpfter Beine zeigte sich, gefolgt von ihrer Besitzerin. Die Frau hielt ihren breitrandigen Hut fest auf den nach vorne geneigten Kopf gepresst, während sie und der Lieutenant sich schnell von dem Hubschrauber entfernten. Nach einem Winken des Piloten hob der Hubschrauber wieder ab.
Schweigend ging sie neben ihm; ihre hochhackigen Schuhe klapperten über den hölzernen Steg. Als sie auf die Laufplanke trat, bot er ihr die Hand, um ihr auf den Kutter der Rettungsgesellschaft zu helfen. Dann löste er sich von ihr und gab Befehle. Der Motor heulte auf, und das Boot glitt leicht in die Strömung. Er sah sie an, und sein Herz hämmerte wie bei einem Schuljungen. Penelope Hamilton! Er konnte es kaum fassen. So sehr sie auch versuchte, ihr Gesicht unter dem weißen Hut zu verbergen, er wusste, dass sie es war.
Jeder Mann hätte es gewusst.
»Wann werden wir in der Gegend sein, wo ... wo ...« Blinzelnd sah Penelope zur Seite. Sie konnte es nicht einmal sagen. Oh, Tess, was ist dir zugestoßen?
»Das wird nicht lange dauern, Ma’am, höchstens zwei Stunden.«
Wortlos nickte sie, und Bindar widerstand dem Drang, die berühmte amerikanische Schauspielerin zu trösten.
»Kann ich irgendetwas für Sie tun, Ma’am?«
»Nein, danke. Ist es in Ordnung, wenn ich mich am Bug aufhalte?«
»Sicherlich. Soll ich Ihnen vielleicht behilflich sein, dorthin zu kommen?«
»Das ist nicht nötig. Ich möchte alleine sein, wenn es Ihnen nichts ausmacht.«
»Aber sicher, Ma’am. Ich verstehe.« Er wandte sich ab. Sie bahnte sich ihren Weg um Taue und anderes Schiffgerät herum allein.
Penelope hatte die Seeleute, die um sie herum arbeiteten, ganz vergessen und starrte in das schnell strömende Wasser, wobei sich ihr Herz schmerzlich zusammenzog. Ich hätte es sein sollen. Ich! Sie hätte nie gedacht, dass ihr kleiner Identitätstausch Tess’ Tod zur Folge haben würde. Nein, Tess war nicht tot. Sie wollte das nicht glauben. Noch nicht. Die Berichte darüber, dass Tess von der Nassau Queen gesprungen sei, waren ziemlich ungenau. Und warum, um Himmels willen, hätte sie das tun sollen? Penelope betete, dass irgendjemand sie gefunden hatte. Vielleicht ein vorbeisegelndes Fischerboot oder ein Ehepaar in den Flitterwochen, das gerade eine Bootsfahrt machte ... aber so weit draußen auf dem Meer? Gib die Hoffnung nicht auf, ermahnte sie sich, doch je mehr Zeit verging, desto geringer wurden die Chancen,
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