Der Fremde ohne Gesicht
niemals –«
Doch Sharman wollte seine Entschuldigung nicht hören. »Lass gut sein. Verpiss dich einfach, okay?«
Endlich war Flemming draußen. Sharman wandte sich an Sam. »Kommen Sie, ich besorge Ihnen einen Brandy.«
Sie blickte zu ihm auf. »Ein bisschen früh, oder?«
Er zuckte die Achseln. »Irgendwo auf der Welt ist es jetzt sechs Uhr abends.«
Sie lächelte und folgte ihm in die Bar.
»Wo haben Sie gelernt, so zuzuschlagen?«, fragte Sharman.
»Ein Exfreund von mir hat für Cambridge geboxt. Er hat mir ein paar Tricks gezeigt.«
Sharman lächelte. »Kann man wohl sagen.«
Sie nahm gerade den letzten Schluck von einem doppelten Brandy, als Hudd die Bar betrat. Er war überrascht, als er Sharman sah. »Ich dachte, Sie säßen im Gefängnis?«
Sam schüttelte den Kopf. »Taktvoll wie immer.«
Zum ersten Mal, seit sie ihn kannte, machte Hudd ein verlegenes Gesicht. »Entschuldigung, ich wollte nicht – ich meine, ich bin froh, das Sie aus … aus … es ist gut, Sie zu sehen.«
Sharman hob die Hand, um ihm weitere Peinlichkeiten zu ersparen. »Ich freue mich auch, Sie zu sehen.«
Hudd lächelte, dankbar für die Brücke. »Es wird Ihnen nicht viel bedeuten, aber das mit Kate tut mir wirklich sehr Leid. Sie war eine tolle Frau. Ich kannte sie nicht lange, aber ich mochte sie sehr.«
Sharman nickte. »Danke.«
»Ich habe ein paar Zeichnungen von ihr, wenn Sie sie haben möchten?«
»Das möchte ich sehr gern.«
»Sie sind in meinem Zimmer. Ich hole sie Ihnen. Oder möchten Sie mit hinaufkommen?«
»Nein, schon gut, bringen Sie sie nur her«, erwiderte Sharman.
Sam beugte sich zu ihm hinüber. »Vielleicht wäre es besser, sie sich in seinem Zimmer anzuschauen.«
Er sah sie verdutzt an. »Wieso?«
»Sie ist nackt.«
Sharman blickte von Sam zu Hudd. »Sie ist was?«
Hudd schluckte schwer, als er Sharmans Miene bemerkte. »Es war nur Kunst, Stan, es ist nichts vorgefallen.«
Da das Sharman nicht sonderlich zu beruhigen schien, wechselte Hudd rasch das Thema, um seinen Hals zu retten. »Ich habe noch etwas anderes in meinem Zimmer, dass ich Ihnen beiden gerne zeigen würde.«
Sam musterte argwöhnisch sein Gesicht. »Was denn?«
»Das möchte ich Ihnen lieber oben zeigen. Es ist ziemlich privat.«
Sie sah Sharman an, der ihr zunickte. »Okay, lassen Sie uns gehen. Ich hoffe, es lohnt sich.«
»Ich glaube, Sie werden es sehr lohnend finden«, versprach Hudd.
Hudds Zimmer befand sich an der Rückseite des Hotels. Zu ihrer Überraschung stellte Sam fest, dass es viel geräumiger war als ihr eigenes.
Offenbar sah er ihr die Überraschung an. »Ich habe gern viel Platz.«
Sie schaute sich um. »Muss ein hübsches Sümmchen kosten.«
Hudd zuckte die Achseln. »Meine Familie ist recht vermögend.«
»Natürlich«, sage Sam trocken. »Was wollten Sie uns denn nun zeigen? Außer den Bildern, meine ich.«
Hudd grinste amüsiert über Sams Missbilligung seiner wohlhabenden Herkunft. Er ging hinüber zu seinem Schrank und nahm mehrere Hemden heraus, bevor er ein längliches Päckchen zutage förderte, das fest in braunes Papier eingewickelt war. Sam hatte das Gefühl, das Päckchen schon einmal gesehen zu haben, aber im Moment konnte sie sich nicht erinnern, wo. Er hielt es ihr lächelnd hin. »Erinnern Sie sich noch daran?«
Kaum hatte er die Frage gestellt, da fiel es ihr wieder ein. Es war das Päckchen, das Spade aus seinem Schrank im Wohnwagen genommen hatte, bevor er erschossen worden war. Sam wollte danach greifen, aber Hudd war schneller und zog es ihr weg. »Nein, nein. Ich habe es gefunden und ich werde es öffnen.« Während er damit zu dem Tisch auf der anderen Seite des Zimmers hinüberging, begann Sam ihn mit Fragen zu bestürmen.
»Wo zum Teufel haben Sie das her?«
Er legte das Päckchen auf den Tisch und zog ein Taschenmesser zum Vorschein. Er klappte es auf und sah Sharman an. »Damit schneide ich Ton, das ist alles.«
Sharman interessierte sich eigentlich nicht dafür, wozu er das Messer sonst benutzte, aber nickte geschäftsmäßig. »Verraten Sie uns jetzt, wo Sie das her haben, oder nicht?«
Hudd begann die Schnur zu zerschneiden. »Von einer Leiche. Oder zumindest aus ihrer Nähe.«
Sam war verdattert. »Und die Polizei hat Sie nicht daran gehindert, es mitzunehmen?«
Er gab ein kurzes Lachen von sich. »Die haben mich gar nicht gesehen. Ich habe so getan, als wollte ich ihm helfen, und in dem allgemeinen Chaos das Päckchen unter mein Hemd
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