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Der Fremde ohne Gesicht

Der Fremde ohne Gesicht

Titel: Der Fremde ohne Gesicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nigel McCrery
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Schublade an sich. Er wedelte ihnen mit der Waffe vor den Gesichtern herum. »Meine Versicherung. Sobald irgendeine Scheiße läuft, knalle ich euch alle ab, und wenn es mitten auf der Straße ist. Klar?«
    Das war eine unerwartete Entwicklung, die all ihre Pläne ruinieren konnte. Spade war jetzt in der Lage, das Geld zu nehmen und ihr trotzdem nichts zu sagen. Er steckte die Pistole in seinen Gürtel und winkte sie hinaus. Sam, Kate und Hudd stiegen die Stufe vor der Tür des Wohnwagens hinab und warteten auf weitere Anweisungen. Spade folgte ihnen nach draußen. »Warten Sie hier, ich hole den Wagen.« Damit machte er sich auf den Weg zu seinem Volvo, der auf der anderen Seite der Lichtung stand.
    »Alle auf den Boden! Polizei!«
    Die laute Stimme schien aus dem Nichts zu kommen. Sam reagierte langsam und wurde plötzlich von Kate mit zu Boden gerissen. Als sie aufblickte, schien alles in Zeitlupe vor ihr abzulaufen. Spade drehte sich zu den unsichtbaren Stimmen um. Ein wütender, fast wahnsinniger Ausdruck lag auf seinem Gesicht. Er zog seine Waffe. Sam wusste, dass er irgendetwas schrie, aber die Worte hörten sich undeutlich und gedämpft an. Die Mündung seiner Waffe blitzte grell auf, gefolgt von einer donnernden Explosion, dann noch einmal und noch einmal. Dann schien plötzlich seine Brust zu explodieren und er wurde rückwärts zu Boden geschleudert. Sie wusste, dass er tot war, noch bevor sein Körper haltlos auf dem Grasboden aufgeschlagen war. Als ihr Verstand und ihre Sinne wieder auf normale Geschwindigkeit schalteten, schien die ganze Lichtung voller Männerfüße zu sein. Leute schrien Befehle hin und her, aber Sam verstand kein Wort. Schließlich riss sie sich zusammen und holte tief Luft.
    »Okay, Kate, Sie können jetzt wieder herunter von mir. Ich glaube, es ist vorbei.«
    Kate rührte sich nicht. Erst jetzt bemerkte Sam das Blut, das an ihrem Kopf vorbei neben ihrem Gesicht ins Gras tropfte. Panik stieg in ihr auf. Vorsichtig schob sie Kate von sich weg, bevor sie sich umdrehte, um zu sehen, wie schwer sie verletzt war. Die Kugel war in Kates rechtes Auge eingedrungen, am Hinterkopf ausgetreten und hatte ein großes Stück des Kopfes mit weggerissen. Sam schrie und wiegte den Kopf der toten Frau in ihrem Schoß. »Kate, Kate, oh nein, oh bitte, Gott, nein!«

8
    Die nächsten Stunden vergingen für Sam wie in einem zeitlosen Nebel. Sie wusste, dass Menschen um sie waren, aber sie registrierte nicht, wer sie waren, und es war ihr auch egal. Sie sprachen in leisen, langsamen Sätzen mit ihr, mit beruhigender Stimme, um dann wieder im Nebel ihres Bewusstseins zu verschwinden.
    Sams ganzes Leben drehte sich um den Tod; er war ihr Beruf und ihre Leidenschaft. Sie bekam ihn jeden Tag zu Gesicht und musste sich mit ihm auseinander setzen. Bis heute hatte sie gedacht, sie hätte ihn verstanden. Doch Sam hatte den Tod immer nur auf die Entfernung gesehen. Sie bekam das zu sehen, was übrig war, wenn der Tod den Rest mitgenommen hatte. Leichen waren nichts, nur ein Schatten dessen, was einmal gewesen war. Doch diesmal war der Tod ihr nahe gekommen. Leben und Tod, einen Herzschlag voneinander entfernt. Bisher war der Tod ihrer Mutter ihre einzige ernsthafte persönliche Erfahrung mit dem Tod gewesen. Sie war untröstlich gewesen über den Verlust, aber er war nicht unerwartet gekommen und hatte etwas Unvermeidliches gehabt.
    Bei Kate war es ganz anders. Sie war jung und lebenslustig gewesen. Sam mochte ihren Lebensstil nicht gutgeheißen haben, aber wer war sie schon, dass sie darüber ein Urteil fällen könnte? Trotz ihrer Vorbehalte hatte sie Kate wirklich gern gemocht. Dass sie bei dem Versuch, Sam zu schützen, gestorben war, vertiefte die Wunde. Sie wusste, dass sie von nun an immer mit diesem Wissen leben musste.
    Wer sie schließlich weggebracht hatte, wusste sie nicht mehr; vermutlich waren es die Sanitäter gewesen. Sie erinnerte sich lediglich, wie jemand sie behutsam in einen Rollstuhl gesetzt und über die Lichtung hinweg zu einem wartenden Krankenwagen gefahren hatte. Möglicherweise war Hudd an ihrer Seite gewesen, aber das wusste sie nicht mehr genau. Das einzige Bild, dass ihr noch lebhaft vor Augen stand, war Kates Leiche, die immer noch im Gras lag, während die Spurensicherung langsam ein Zelt über ihr errichtete.
    Wie lange die Fahrt ins Krankenhaus dauerte, konnte sie nicht mehr sagen; aber das schien auch keine Rolle zu spielen. Für sie schien die Zeit in dem Moment stehen

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