Der Fremde ohne Gesicht
hat er es also endlich kapiert?«
Sharman holte seine Zigaretten aus der Tasche und zündete sich eine an. »Ging es schnell?« Er sah Sam nicht an, sondern starrte nur hinaus auf den Wash.
»Ja, sehr. Sie kann nichts gemerkt haben.«
Er wartete schweigend ab.
»Sie hat mir das Leben gerettet. Warf mich zu Boden und deckte mich mit ihrem Körper. Sonst läge ich jetzt an ihrer Stelle in der Leichenhalle.«
Sein Mund verzog sich zu einem halben Lächeln, in dem aber keine Freude lag. »Sieht ihr ähnlich, dumme Kuh. Es steckte so viel mehr in ihr. Die seltsamste Prostituierte, die ich je getroffen habe.«
»Sie war ein ganz besonderer Mensch, Stan. Es tut mir so Leid.«
Er drehte sich zu ihr. »Es war nicht Ihre Schuld. Das dürfen Sie nicht einmal denken.«
Sie spürte, wie sich ihre Augen mit Tränen füllten. »Ich denke nur, wenn ich nicht …«
Er unterbrach sie. »Kate war ein großes Mädchen. Sie wusste, was sie tat. Es ist eben passiert. Schicksal, wenn Sie so wollen.«
Sam ergriff seine Hand. »Es tut mir so Leid, Stan. Ich weiß, wie viel sie Ihnen bedeutet hat.«
Er drückte Sams Hand und legte sie dann zurück auf ihren Schoß. »Danke. Ich werde mich daran gewöhnen.«
Sam war nicht sicher, was die Ablehnung ihrer Hand zu bedeuten hatte, aber sie war nicht in der Stimmung, es zu analysieren. »Was machen wir jetzt?«
Sharman nahm einen letzten Zug von seiner Zigarette. »Wir schnappen uns die Mörder.« Dann stand er auf, fasste Sam am Arm und zog sie auf die Beine. »Kommen Sie, packen wir es an.«
Detective Sergeant Bill Flemming erwartete sie, als sie im Hotel eintrafen. Er war der Letzte, den Sam jetzt sehen wollte. Als sie und Sharman den Raum betraten, stand er auf. Er streckte Sam seine Hand entgegen, doch sie ignorierte sie demonstrativ.
»Warum zum Teufel haben Sie sich nicht an den verdammten Plan gehalten? Sie wollten doch nichts unternehmen, bis wir die Informationen hatten, die wir brauchten.«
Flemming zuckte die Achseln. »Die Entscheidung für den Einsatz ist weiter oben getroffen worden.«
Das ließ Sam nicht gelten. »Aber Sie hatten etwas dabei mitzureden, oder?«
»Ein wenig.«
»Warum zum Teufel haben Sie sich dann nicht an den ursprünglichen Plan gehalten? Kate könnte noch leben.«
Flemming sog die Luft durch die Zähne. »Wir hatten Angst, ihn zu verlieren oder irgendwohin entkommen zu lassen, wo er nicht so leicht zu greifen gewesen wäre.«
»Und warum haben sie uns dann nicht eingeweiht? Dann hätten wir vielleicht eine Chance gehabt.«
»Die Entscheidung wurde getroffen, nachdem Sie schon weg waren. Wir konnten Sie nicht mehr erreichen.«
»Und außerdem hätte Ihre Nervosität das Spielchen verraten können, nicht wahr?«, warf Sharman ein.
Flemming wusste, dass es keinen Sinn hatte, Sharman etwas vorzulügen, dazu war er zu erfahren. »Das hat auch eine Rolle gespielt. Er war gefährlich. Wir konnten es uns nicht leisten, ihn zu verlieren.«
»Warum waren Sie bewaffnet? Wussten Sie, dass er eine Waffe hatte?«
Wieder überlegte er, bevor er antwortete. »Wir hatten gewisse Informationen, die vermuten ließen, dass er bewaffnet war.«
»Aber Sie hielten es für besser, nichts davon zu sagen?«
»Es waren ja nur Vermutungen.«
Sharman schaltete sich wieder ein. »Immerhin hast du sie für so verlässlich gehalten, dass du eine bewaffnete Spezialeinheit angefordert hast.«
»Sicher ist sicher.«
Sam war nahe daran, ihm eine Ohrfeige zu verpassen. »Es sei denn, es geht nur um das Leben anderer. Sie haben uns als Köder benutzt, Sie Mistkerl.« Plötzlich kochte der Zorn in ihr hoch und sie schlug Flemming ohne Vorwarnung mit der Faust von der Seite ins Gesicht. Er sackte zurück auf seinen Stuhl. »Ist Ihnen das alles egal? Wegen Ihnen ist eine junge Frau gestorben, Sie beschissenes Arschloch!«
Sie wollte wieder mit erhobener Faust auf Flemming losgehen, doch Sharman packte sie um die Taille und hielt sie fest. »Das reicht. Das reicht.«
Er schob sie hinter sich und rief Flemming zu: »Ich glaube, du solltest lieber gehen.«
Flemming stand auf und nickte Sharman zu. »Danke.«
Sharman starrte ihn finster an. »Danke mir besser nicht. Wenn ich dein Gesicht noch lange sehen muss, überarbeite ich es. Habe ich mich klar ausgedrückt?«
Flemming ignorierte ihn. »Wir brauchen noch eine Aussage.«
»Du kriegst deine Aussage. Jetzt hau ab.«
An der Tür schaute sich Flemming ein letztes Mal um. »Es tut mir wirklich Leid. Das hätte alles
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