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Der fremde Tibeter

Titel: Der fremde Tibeter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eliot Pattison
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Büros für Öffentliche Sicherheit stammt. Nicht von der Abteilung in Xinjiang, die dich verhaftet hat. Nicht von der in Lhasa, wo du deine Strafe antreten mußtest. Von über neunhundert Häftlingen hat nur einer eine Akte, die von der Pekinger Abteilung des Büros stammt. Ich glaube, wir haben nie richtig zu würdigen gewußt, was für ein besonderer Mensch du bist.«
    Shan schaute Tan abermals in die Augen. »Es gibt eine amerikanische Redensart«, sagte er langsam. »Jeder ist irgendwann für fünfzehn Minuten berühmt.«
    Tan erstarrte. Er streckte den Kopf vor und blickte Shan unverwandt an, als sei er nicht sicher, ob er richtig gehört hatte. Das messerscharfe Lächeln kehrte langsam zurück.
    Hinter Shan ertönte das Trappeln kleiner Füße.
    »Madame Ko«, sagte Tan immer noch kalt lächelnd. »Unser Gast benötigt mehr Tee.«
    Der Oberst war zu alt, um noch auf den Beförderungslisten zu stehen, beschloß Shan. Selbst bei seinem hohen Rang bedeutete ein Posten in Tibet einen Posten im Exil.
    »Ich habe mehr über diesen mysteriösen Genossen Shan herausgefunden«, fuhr Tan fort und wechselte in die dritte Person. »Er war ein beispielhafter Mitarbeiter des Wirtschaftsministeriums. Lobesworte des Vorsitzenden aufgrund besonderer Leistungen im Dienste der Justiz. Ihm wurde die Parteimitgliedschaft angeboten, was eine außerordentliche Belohnung für jemanden darstellt, der sich erst auf halbem Wege seiner Karriere befindet. Dann hat er sogar etwas noch viel Außerordentlicheres getan. Er hat abgelehnt. Ein sehr komplizierter Mann.«
    Shan setzte sich. »Wir leben in einer komplizierten Welt.« Er sah, daß seine Hände unbewußt ein mudra gebildet hatten. Der Diamant des Verstands.
    »Vor allem, wenn man bedenkt, daß seine Frau ein überaus geachtetes Parteimitglied ist, eine leitende Funktionärin in Chengdu. Frühere Frau, sollte ich wohl besser sagen.«
    Shan blickte bestürzt auf.
    »Das wußtest du nicht?« fragte Tan mit zufriedenem Lächeln. »Die Ehe wurde vor zwei Jahren geschieden. Genaugenommen annulliert. Sie hat gesagt, ihr hättet ohnehin nie zusammengelebt.«
    »Wir...« Shans Mund war plötzlich staubtrocken. »Wir haben einen Sohn.«
    Tan zuckte die Achseln. »Wie du gesagt hast. Die Welt ist kompliziert.«
    Shan schloß die Augen, um gegen das jähe stechende Gefühl in seinem Magen anzukämpfen. Also hatten sie auch das letzte Kapitel seiner Lebensgeschichte umgeschrieben. Es war ihnen gelungen, ihm den Sohn wegzunehmen. Nicht, daß Shan und sein Sohn sich besonders nahegestanden hätten. Während der fünfzehn Jahre seit der Geburt des Jungen hatten sie vielleicht vierzig Tage zusammen verbracht. Aber wie unter Sträflingen üblich, schwelgte auch er in der Vorstellung, welche Beziehung er eines Tages zu seinem Sohn haben könnte und daß es ihm irgendwie gelingen würde, zwischen ihnen die gleichen Bande zu knüpfen wie früher zu seinem eigenen Vater. Er lag nachts wach und fragte sich, wo der Junge gerade sein mochte oder was er wohl sagen würde, wenn er seinen Vater wiedertraf. Diese erträumte Beziehung war für Shan einer der letzten Strohhalme gewesen, an die er seine Hoffnung klammern konnte. Er preßte die Handflächen an die Schläfen und beugte sich auf seinem Stuhl vor.
    Als er die Augen wieder aufschlug, blickte Tan ihn mit zufriedener Miene an. »Deine Brigade hat gestern eine Leiche entdeckt«, sagte er unvermittelt.
    »lao gai -Häftlinge kennen den Tod«, erwiderte Shan ausdruckslos. Bestimmt hatte man dem Jungen erzählt, Shan sei gestorben. Aber wie gestorben? Als ein Held? Als eine erbärmliche Kreatur? Als ein Sklave, den das Gulag aufgezehrt hatte?
    Tan öffnete den Mund und sah dem Rauch hinterher, der langsam zur Decke aufstieg. »Mit Verschleiß muß man bei den Arbeitsbrigaden immer rechnen. Mit der Auffindung eines enthaupteten westlichen Besuchers allerdings nicht.«
    Shan schaute auf und wandte sich dann ab. Er wollte es nicht wissen. Er wollte nicht danach fragen. Er starrte in seine Tasse. »Hat man seine Identität festgestellt?«
    »Der Pullover war aus Kaschmir«, sagte Tan. »In der Hemdtasche steckten fast zweihundert Dollar sowie die Geschäftskarte einer amerikanischen Firma für Medizintechnik. Es muß sich um einen unbefugten westlichen Besucher gehandelt haben.«
    »Seine Haut war dunkel und seine Körperbehaarung schwarz. Es könnte auch ein Asiat gewesen sein, vielleicht sogar ein Chinese.«
    »Ein Chinese von solchem Wohlstand? Dessen

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