Der fremde Tibeter
Wagen schlug ihnen ein beinahe überwältigender Fäulnisgeruch entgegen. In dem Koffer fanden sich Jaos Flugtickets, eine dicke Akte und der Ausschnitt eines Satellitenfotos, der die Mohnfelder zeigte.
Die Kofferraumhaube klemmte. Tan nahm ein Stemmeisen vom Bulldozer und hebelte den Deckel auf. Im Innern lag die zusammengeschrumpfte Leiche einer jungen Frau in einem bunten Blumenkleid. Ihr Mund war zu einem schrecklichen Grinsen verzogen. Der Blick ihrer leblosen Augen schien sich direkt auf Shan zu richten. Auf ihrer Brust lag eine vertrocknete Blume. Eine rote Mohnblume.
Tan stöhnte entsetzt auf, wirbelte herum und schleuderte das Stemmeisen in den Teich. Dann drehte er sich wieder um. Sein Gesicht war aschfahl. »Genosse Shan«, sagte er, »das ist Miss Lihua.«
Rebecca Fowler stand wie gelähmt da und starrte schweigend und von Grauen gepackt in den Kofferraum, während Tan zu dem Funkgerät in seinem Wagen ging. Es kam Shan so vor, als würde sie vor seinen Augen vertrocknen, als könnte sie jeden Augenblick zu Staub zerfallen und vom Wind fortgetragen werden. Einen Moment lang glaubte er, sie würde ohnmächtig zusammenbrechen. Dann sah sie Tans starren Blick auf sich ruhen, und die Wut verlieh ihr neue Kraft. Lautstark erteilte sie eine Reihe von Anweisungen: Der Bulldozer sollte das Auto vom Damm ziehen, die anderen Maschinen mußten das klaffende Loch füllen, und sie benötigten Kipplaster mit Kies. Dann rannte sie auf das Loch zu und rief nach Kincaid.
Als Shan sie erreichte, kniete sie neben der Öffnung und war damit beschäftigt, Lehm in das Loch zu schieben, wobei sie abgehackte, hektische Stöhnlaute ausstieß. Immer mehr Wasser sickerte durch den geschwächten Wall. Der Traktor traf neben ihr ein und fing an, die Öffnung mit seiner Schaufel zu füllen. An der Seite des Loches wurde ein kleines Rinnsal sichtbar. Als der Traktor ein Stück vorfuhr, gab der Untergrund nach. Fowler schrie auf, sprang hoch und zerrte den Fahrer vom Sitz. Im selben Moment brach ein Teil des Damms ein, und die Maschine rutschte in die Öffnung. Die hintere Wand hielt ein paar Sekunden länger, bis das Loch sich mit Wasser gefüllt hatte. Dann brach auch sie. Der Traktor wurde in die Schlucht gespült, und der gesamte Teich strömte hinterher.
Hilflos sahen sie zu, wie das Wasser in den Drachenschlund stürzte, dabei Felsblöcke vom Hang losriß, die Böschungen einstürzen ließ und immer mehr Geschwindigkeit gewann, während es unter der alten Hängebrücke hindurch in einem Mahlstrom aus Felsen, Wasser und Geröll auf die Talebene zurauschte. Shan bemerkte, daß Tan neben ihm stand und mit einem Fernglas seine Brücke beobachtete.
Doch auch ohne Fernglas sahen sie die Wasserwand gegen die Betonpfeiler schlagen. Die Brücke schien einen Moment lang wie ein zerbrechliches Spielzeug zu wanken, wurde dann hochgerissen und verschwand.
Shan erinnerte sich an das Geräusch, mit dem der Wall das Auto freigegeben hatte, das Zittern des Bodens, das reißende, saugende, quietschende Kreischen des Lehms, das ihn hatte erschaudern lassen.
Es bedurfte lediglich eines einzigen makellosen Tons, hatte Je gesagt.
Kincaid, der zunächst an der ausgegrabenen Limousine vorbeigerannt war, um Fowler zu Hilfe zu eilen, stand nun vor dem offenen Kofferraum. »O Gott«, stöhnte er mit heiserer Stimme. »O mein Gott.« Er beugte sich vor, als müsse er sie berühren, hielt dann inne und richtete sich langsam wieder auf. Dann drehte er sich um und schaute zu der Straße, die zu der Mine hinunterführte, als würde er einer plötzlichen Eingebung gehorchen. Shan folgte seinem Blick und sah, daß ein weiteres Fahrzeug sich näherte, ein leuchtendroter Land Rover.
Sogar aus zehn Metern Entfernung konnte Shan spüren, wie Kincaids Körper sich anspannte. »Ihr verfluchten Hunde!« schrie der Mann und lief auf die Straße zu, wobei er immer wieder anhielt, um Steine aufzuheben und in Richtung des noch weit entfernten Fahrzeugs zu schleudern. »Kommt her, und seht sie euch an, ihr Schweine!«
Der rote Wagen bremste ab, fuhr dann rückwärts die Steigung hoch und verschwand.
Auch Tan hatte den Vorfall bemerkt und sprach wieder in sein Funkgerät.
Luntok erschien und trug eine Decke zu der Limousine. Die ragyapas hatten niemals Angst vor den Toten. Ehrfürchtig deckte er die Frau im Kofferraum zu, wandte sich dann um und starrte seinen Freund Kincaid an. Sein Blick wirkte irgendwie verändert.
Rebecca Fowler ging einen Schritt auf den
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