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Der fremde Tibeter

Titel: Der fremde Tibeter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eliot Pattison
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wütend auf Trinle zustürmen, verharrte jedoch abermals, als eine dritte und vierte Stimme sich nacheinander dazugesellten, alle im gleichen Rhythmus und in identischer Tonlage. Das Geräusch schien von überall und nirgends zugleich zu kommen.
    »Packt sie!« rief Li. Doch die Kriecher standen wie versteinert da und starrten auf den Hang.
    Es wurde allmählich heller, und Shan konnte die Gewänder am Rand der Freifläche gut genug sehen, um sie zu zählen.
    Sechs. Zehn. Nein, noch mehr. Fünfzehn. Er erkannte mehrere der Gesichter. Einige waren purbas. Andere kamen aus den Bergen, Beschützer des gomchen.
    Li drehte sich um und zog einem der Soldaten den Schlagstock aus dem Gürtel. Kochend vor Wut schritt er den Rand des Areals ab und schwang den Knüppel. Dann blieb er stehen und hieb auf Trinles Rücken ein. Trinle reagierte nicht. Tobend brüllte Li nach dem Major, der unsicher einige Schritte vortrat und ein paar Meter vor Trinle verharrte. Li eilte zu ihm und schien nach seiner Waffe greifen zu wollen.
    Shan zwang sich dazu, zwischen ihnen und Trinle Position zu beziehen. Am Rand des Kreises bewegte sich etwas. Sergeant Feng tauchte auf. In der Hand hielt er einen großen Schraubenschlüssel aus dem Wagen. Es war vorbei, begriff Shan. Daß er verloren hatte, war keine Überraschung. Aber daß die 404te und Yerpa verloren sein würden, war unerträglich. Er hoffte inständig, daß es wenigstens schnell vorbei sein würde. Eigentlich wäre es ganz passend, dachte er flüchtig, wenn die entscheidende Kugel von Sergeant Feng käme.
    »Weg da«, hörte er Feng knurren. Doch der Sergeant sprach nicht mit ihm. Feng fuhr herum und stellte sich neben Shan, so daß er Li und dem Major die Stirn bot. Das Mantra dauerte an.
    »Du altes Schwein«, beschimpfte Li den Sergeanten höhnisch. »Damit ist deine Soldatenlaufbahn beendet.«
    »Mein Auftrag lautet, auf den Genossen Shan aufzupassen«, grunzte Feng und stellte sich breitbeinig hin, als würde er mit einem Angriff rechnen.
    Einen Moment lang herrschte Schweigen, und prompt schien das Mantra wieder lauter zu werden. Der Major ging zurück zu seinen Männern und befahl ihnen, die Schlagstöcke zu ziehen.
    Tan tauchte auf Shans anderer Seite auf. Sein Gesicht war angespannt. Er warf Shan einen seltsam traurigen Blick zu und wandte sich dann an Li. »Diese Leute«, sagte er mit weit ausholender Geste, »stehen unter meinem Schutz.«
    Li starrte ihn an. »Ihr Schutz ist wertlos, Oberst«, stieß er wütend hervor. »Wir führen Ermittlungen gegen Sie durch, und zwar wegen Bestechlichkeit im Amt. Sie haben keine Befehlsgewalt mehr.«
    Tans Hand legte sich auf sein Holster. Der Major griff nach seiner Maschinenpistole.
    Plötzlich übertönte ein neues Geräusch die Litanei der Mönche: das Zischen von Luftdruckbremsen. Alle Anwesenden drehten sich völlig entgeistert um und sahen einen langen glänzenden Bus anhalten. Die Scheiben wurden heruntergeschoben.
    »Martha!« rief jemand auf englisch. »Sieh nur, sie halten eine Morgenandacht ab. Schnell, leg einen neuen Film ein.«
    Die Touristen stiegen einer nach dem anderen aus, schossen Fotos und machten Videoaufnahmen von den Mönchen, von Shan, von Li und den Kriechern.
    Shan blickte in den Bus. Der Mann am Steuer kam ihm bekannt vor; es war ein Gesicht vom Marktplatz. Neben ihm, in einem eleganten Geschäftskostüm mit Krawatte, stand Miss Taring vom Büro für Religiöse Angelegenheiten. Sie fing an, etwas über buddhistische Riten und die Nähe der Buddhisten zu den Kräften der Natur zu erzählen.
    Dann stieg sie aus und bot einem amerikanischen Paar an, die beiden gemeinsam mit den chinesischen Soldaten zu fotografieren.
    Der Major musterte sie einen Moment lang und scheuchte dann schnell seine Männer zurück in den Laster. Li schloß sich ihm an. »Es spielt keine Rolle«, flüsterte er. »Wir haben bereits gewonnen.« Er winkte den Amerikanern mit gekünsteltem Grinsen zu, kletterte mit dem Major in das Führerhaus des Lastwagens und fuhr in hohem Tempo davon. Dann stiegen auch die Touristen wieder ein, und der Bus verschwand so abrupt wie er aufgetaucht war.
    Tan ließ sich vor Gendun auf dem Boden nieder. Das Mantra hörte schlagartig auf. Trinle kam hinzu und ging neben Gendun in die Hocke.
    »Erzähl mir von dieser Frau«, sagte Tan.
    »Sie schien sehr glücklich zu sein. Dann... es gibt nichts Schrecklicheres als den Schrei eines Menschen, der unvorbereitet vom Tod ereilt wird. Danach waren nur noch andere

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