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Der fremde Tote

Der fremde Tote

Titel: Der fremde Tote Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Agnes Jäggi
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in Ernheim aufzuklären. Doch bei dem Gelächter, das jetzt vorherrschte, hätten sie uns wohl kein Wort geglaubt.
    Korbi kam deshalb auf die Idee, von einem Theaterstück über FriedfhofbewohnerInnen zu sprechen.
    „Da hast du wohl deine Finger mit ihm Spiel. Stammt die Vorlage von dir?“, fragte Julie mit vollem Mund.
    „Ja, irgendwie schon“, antwortete ich vorsichtig.
    Weiter kamen wir nicht.
    Plötzlich ging alles drunter und drüber. Frani, die bisher ruhig in ihrem Körbchen unter dem Herd gedöst hatte, sprang wie von einer Tarantel gestochen auf, flitzte fauchend auf den Tisch, wobei sie volle Kaffeetassen umkippte, den Butterteller vom Tisch stiess und schauderhaft knurrend mit riesigen schwarzen Augen auf die freie Stelle zwischen mir und dem Kühlschrank starrte. Ihre Nackenhaare sträubten sich, und Julie kreischte vor Schreck auf. Henri liess sein dick mit Erdbeermarmelade bestrichenes Brot fallen. Alle stierten nun zum Kühlschrank, vor dem langsam eine in einen schimmernden Silbernebel gehüllte Gestalt sichtbar wurde. Der Mann oder Geist trug einen weissen modisch geschnittenen Anzug und unter dem offenen Jackett ein weit aufgeknöpftes buntes Hawaii-Hemd. Über der gebräunten Brust und den schwarzen Brusthaaren prangte eine riesige goldene Halskette. Sein schwarzes, halblanges Haar war mit Pomade eingeschmiert und er hielt eine Zigarette in der Hand, welche jedoch keinen Rauch verströmte.
    Er wandte sich mir lässig zu, seine Sprache wirkte schnodderig als er sagte: „Hei, Alte, du warst auf dem Friedhof. Ich hab gleich geschnallt, dass du und dein Begleiter nicht zu diesen Provinztoten gehört. Also stell die Lauscher auf: Ich bin abgemurkst worden. Diese Typen haben mir mein Geld und meine Mädchen geklaut. Es wäre gut, wenn ihr sie finden würdet. Ich will nämlich gerächt werden und vor allem habe ich keine Lust, bei diesen Langweilern dort unten meine Zeit abzusitzen!“
    „Was ist denn das für ein beschissener Trick?“, japste Henri und linste nach der Flasche Rotwein, die auf der Anrichte stand.
    Mir wäre jetzt auch nach etwas Starkem zumute gewesen, doch der unsympathische Kerl an meinem Kühlschrank gab keine Ruhe: „Ihr werdet mich nicht los. Ich habe ein Anrecht darauf, nach meinem irdischen Ableben eine möglichst anregende und komfortable neue Bleibe zu bekommen. Wenn ihr nicht spurt, dann deichsle ich die Sache so, dass ihr beide mich aus Raffgier umgebracht und auf diesen öden Friedhof im Niemandsland geschleppt habt.“
    Korbi riss der Geduldsfaden: „Einen Scheissdreck werden wir tun. Du hast wohl bloss die Quittung für dein ausbeuterisches Leben gekriegt! Und nun hau ab und such dir dein ausserirdisches Zuhälterparadies gefälligst allein!“ – In diesem Moment klingelte das Telefon.
    Der Zuhälter kicherte gemein, mir zitterten die Knie, und die anderen am Tisch waren ganz einfach sprachlos. Frani thronte wie ein Dämon mit hochgewölbtem Buckel und mit fest am Kopf angelegten Ohren auf dem Tisch, doch beim ersten Klingeln des Telefons verlor sie endgültig die Nerven und sauste ins Schlafzimmer unters rettende Bett.
    „Na, willst du nicht rangehen, Schätzchen?“, fragte der unverschämte Kerl.
    Korbi sprang auf und wollte sich auf den toten Zuhälter stürzen, doch der löste sich einfach auf.
    Das Klingeln des Telefons zerrte an meinen Nerven.
    Als ich den Hörer abhob und zögernd „Hallo“ flüsterte, meldete sich ein Polizeimeister aus Mölzen, namens Hauermeier. „Ich hoffe, ich habe Sie nicht geweckt“, sagte er, „aber da ist eine merkwürdige Sache, über die ich gern mit Ihnen sprechen möchte. Kennen Sie übrigens einen Hanno Herzig aus Zürich?“ – Ich verneinte, versprach aber, im Laufe des Nachmittags auf dem Revier in Mölzen zu erscheinen.

    „Stimmt es, dass Sie vor ein paar Tagen in Ernheim waren?“
    Ich hockte unbehaglich auf einem ungepolsterten Holzstuhl mit harter Rückenlehne. Polizeimeister Hauermeier trug einen zerknitterten Anzug und besass ein ebensolches Gesicht. Er rauchte eine Zigarette nach der anderen, dementsprechend dick war die Luft in dem engen Zimmer, wo wir sassen.
    „Darf ich das Fenster öffnen?“, fragte ich höflich, aber unsicher.
    Der riesige Polizist drehte sich auf dem Stuhl und riss das Fenster auf. Dann bot er mir eine Zigarette an, die ich dankend annahm. Ich weiss, dass Rauchen nicht gesund ist, aber immerhin beruhigt es in Situationen wie diesen die Nerven ein wenig.
    Polizist Hauermeier war sehr

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