Der fremde Tote
hatten.
9. Besuch im Theater
Diesmal leistete ich mir ein ausgedehntes, heisses Bad. Der Besuch auf dem Polizeirevier hatte mich ziemlich geschafft, wie ich Frani weinerlich mitteilte. Sie hatte volles Verständnis dafür, und während ich mit dem Schaum spielte, lag sie, wieder ruhig und besonnen wie eh und je, auf dem Toilettendeckel. Hin und wieder öffnete sie die Augen einen Spalt weit, um mir zu zeigen, dass sie meinem Lamentieren sehr wohl gebührende Beachtung schenkte. „Ich verstehe einfach nicht, warum dieser Hanno Herzig die Sache nicht selber in die Hand nimmt. Er weiss doch, wer ihn gekillt hat. Warum zum Kuckuck führt er die Polizei dann nicht auf deren Fährte? Wozu braucht er mich?“
Ich erinnerte mich, wie mir eine Wahrsagerin einmal erklärt hatte, dass nicht alle Lebenden von den Toten wahrgenommen würden und umgekehrt. Das war in meiner Situation kein Trost. Ich fasste zusammen: Korbi und ich hatten bereits mehrmals mit Toten reden können, ebenso Henri, Julie, Viktor und die Diva – wie sich heute Morgen beim Brunch gezeigt hatte. Aber Moment mal: Hatten Henri, Julie, Viktor und die Diva den toten Zuhälter auch wirklich gesehen? Waren sie nicht einfach nur erschrocken über Franis Verhalten auf dem Tisch und darüber, dass Korbi plötzlich wie ein Verrückter den Kühlschrank angegriffen hatte?
Klitschnass hastete ich aus der Badewanne, rannte in die Küche, wo der alte Telefonapparat stand, auf den ich so stolz war und den ich günstig bei der Telefongesellschaft erworben hatte. Ich wählte Korbis Nummer. Er nahm nicht ab.
Ich beschloss Julie anzurufen, die noch im Gasthaus sein musste. Als sie an den Apparat kam, fragte ich sie, was sie genau gesehen hatte bei mir in der Küche. „Du wirst langsam ein wenig paranoid. Vielleicht solltest du für eine Weile Liebesgeschichten oder Reisebericht schreiben“, meinte sie lachend. „Also ich habe gesehen, wie deine Katze urplötzlich verrückt geworden ist und aus dem Brunch-Buffet auf dem Tisch ein Schlachtfeld gemacht hat. Danach knurrte sie den Kühlschrank an, als wäre dieser ein auferstandenes Ungeheuer aus der Urzeit. Du und Korbi habt unsinniges Zeug gebrabbelt, und zum Schluss wollte Korbi den Kühlschrank ermorden.“ Julie lachte schallend und fügte hinzu: „Dabei ist es noch eine ganze Weile bis Halloween. Doch, doch, die Vorstellung war sehr eindrücklich!“ Mit wem ich überhaupt am Telefon gesprochen habe, wollte sie noch wissen. „Du bist ganz blass geworden. Ist etwas mit deiner Familie?“
„Nein, nein“, beruhigte ich sie und versicherte ihr, dass ich mir die Sache mit den Liebesgeschichten überlegen würde.
Schnell zog ich mich an, um Korbi im Theater einen Besuch abzustatten. Vielleicht könnte ich dabei auch noch mit Viktor, der Diva und Henri reden. Glücklicherweise erzählten sie alle, mit Ausnahme von Henri, der einen merkwürdigen Silbernebel neben dem Kühlschrank gesehen haben wollte, in etwa dasselbe wie Julie. „Dieser verdammte Alkohol“, meinte Henri noch, „vielleicht sollte ich doch weniger trinken. Aber deine alte Frani, die hatte sie wirklich nicht mehr alle beisammen. Ist sie wieder in Ordnung?“ Ich bejahte dies und erklärte ihm, dass ältere Katzen, besonders die Dreifärber, hin und wieder solche Anfälle hätten, was aber nicht weiter schlimm wäre. „Schade um den Brunch!“ Ich versprach Henri einen neuen Brunch, bald. Die Diva meinte lediglich, sie wäre etwas nervös gewesen, was sich wahrscheinlich auf meine Katze übertragen hätte. „Katzen und Künstler sind sehr sensible Wesen, weißt du.“
Die abendliche Vorstellung in Korbis Traumtheater lief ohne Pannen ab. Den anschliessenden Apéro spendierte ich als Wiedergutmachung für den vermasselten Brunch vom Morgen. Aus dem riesigen Zopf bereitete ich mit Hilfe von Käse, Gurken und Oliven delikate kleine Häppchen zu. Dazu gab es Bier, Wein und Mineralwasser.
Mit Korbi konnte ich erst spät ein paar Worte wechseln, als Truppe und Gäste das Theater verlassen hatten. „Wir beide können uns also mit Toten unterhalten. Das klingt praktisch; in unserem Fall oder besser im Fall von Hanno Herzig ist es eher bedrückend“, fasste Korbi zusammen. Wir mussten so bald wie möglich wieder auf den Ernheimer Friedhof, um mit den Leuten dort zu sprechen. Was aber, wenn wir dabei erwischt wurden? Bestimmt würden in nächster Zeit vermehrt Polizeipatrouillen durch das Dorf fahren, und die neugierigen Einwohner würden ihren
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