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Der fremde Tote

Der fremde Tote

Titel: Der fremde Tote Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Agnes Jäggi
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freundlich, doch ich liess mich nicht täuschen. Er suchte einen Mörder (oder eine Mörderin), was in diesen Orten auf dem Lande nicht gerade üblich ist. Obwohl ich mir einmal habe sagen lassen, dass auf unseren Friedhöfen mehr Ermordete liegen als auf natürliche Weise Dahingegangene. Doch das hat wohl wieder etwas mit diesen ominösen dunklen Familiengeheimnissen zu tun. Angst befiel mich. Mir wurde schlagartig bewusst, dass dies kein Freundschaftsbesuch war; ich wurde tatsächlich eines Mordes verdächtigt oder wenigstens der Mithilfe zu einem Verbrechen. ‚Ruhig, Amanda, ganz ruhig’, redete ich mir im Stillen zu. ‚Du hast nichts getan, du warst lediglich zur falschen Zeit am falschen Ort.’
    „Na, wie ist es nun – waren Sie mit Ihrem Wagen in Ernheim oder nicht?“, meldete sich der Polizist drängend wieder zu Wort.
    „Ja“, sagte ich endlich, „und nicht nur einmal. Ich bin nämlich Schriftstellerin (was für eine höllische Übertreibung, Goethe und Konsorte würden sich im Grab umdrehen). Ich schreibe Geistergeschichten. Und kürzlich bin ich auf den Gedanken gekommen, neue Ideen zu sammeln, indem ich nachts durch die Gegend streife. Ausserdem bin ich in Ernheim aufgewachsen.“
    „Aha, das erklärt wohl auch Ihre Besuche auf dem Friedhof. Wir haben dort nämlich Ihr Handy gefunden.“
    Verfluchter Hanno Herzig!, dachte ich erbost. Bestimmt hat er das Handy irgendwie auf den Friedhof gebracht.
    Hauermeier gab sich vorerst mit meiner Geschichte zufrieden. „Und wer war der Mann in Ihrer Begleitung?“
    „Er heisst Korbi – eigentlich Jakob Jenker. Er ist Theaterwissenschaftler und leitet ein Theater in Brugg, wo wir beide wohnen.“
    „Zusammen wohnen?“
    „Nein, nein. Wir sind lediglich befreundet. Ich schreibe manchmal Stücke für ihn, die er dann auf die Bühne bringt.“
    „Sie kennen also keinen Hanno Herzig?“
    „Aber nein, woher denn? Ist das der Mann, den Sie auf dem Friedhof gefunden haben?“
    Der Polizeimeister bejahte und fügte hinzu, dass es sich um eine in der Zürcher Szene wohl bekannte Figur handle. „Mädchenhandel, Drogen und all dieser Dreck!“
    Wir rauchten eine Weile schweigend vor uns hin.
    Unvermittelt fragte Hauermeier: „Wann haben Sie Ihr Handy verloren?“
    Glücklicherweise benutze ich das Ding nicht oft, also sagte ich, das müsse wohl vor ein paar Tagen gewesen sein, vielleicht sogar damals, als ich mit Korbi zusammen in Ernheim gewesen war. „Ich hatte noch nicht einmal gemerkt, dass es weg ist, ich telefoniere nicht oft“, fügte ich wahrheitsgemäss hinzu.
    Als der Polizeimeister mir ein Bild des Toten zeigte, blieb ich ganz ruhig. „Nein, ich kenne ihn wirklich nicht, ich habe ihn nie gesehen.“ – Ausser, dass er heute Morgen vor meinem Kühlschrank gestanden hatte und unflätig geworden war, fügte ich im Stillen hinzu.
    „Ich würde gerne auch noch mit Ihrem Freund – wie heisst er noch gleich? – sprechen“, erklärte der Polizeimeister. „Hat er Sie heute begleitet?“
    „Nein, er probt ein neues Stück ein.“
    „Haben Sie seine Telefonnummer?“
    Ich gab sie ihm, und er wählte die Nummer. Er stellte Korbi fast die gleichen Fragen wie mir und erfuhr, dass Korbi den Toten nicht kenne und überhaupt keine Verbindungen zu Zürich habe.
    „Eine wirklich merkwürdige Geschichte ist das“, stellte Hauermeier fest.
    „Wie ist er denn eigentlich gestorben? In den Nachrichten wurde lediglich erwähnt, dass ein Toter auf dem Friedhof gefunden worden war.“
    „Er wurde erstochen. Ein gezielter Stich ins Herz. Er muss auf der Stelle tot gewesen sein.“
    „Und seine Seele irret herum und suchet nach dem Warum.“
    Hauermeier starrte mich entgeistert an. Ich hatte laut gesprochen.
    „Oh, tut mir leid“, stotterte ich peinlich berührt. „Die ganze Sache regt mich doch ein wenig auf. Ich hatte noch nie mit einem Mord zu tun, ausser in meinen Geschichten.“
    Hauermeier lächelte, aber nur ein wenig. Dann schälte er seine hohe hagere Gestalt aus dem Stuhl und reichte mir die Hand. „Könnte sein, dass wir noch Fragen an Sie haben. Ihre Nummer haben wir ja.“
    „Bekomme ich mein Handy wieder zurück?“, fragte ich.
    „Aber sicher, später. Erst einmal wird alles um den Tatort herum genauestens untersucht. Also, auf Wiedersehen.“
    Damit war ich entlassen – vorerst jedenfalls. Wahrscheinlich machte Hanno Herzig seine Drohung wahr. Er würde Korbi und mich so lange verfolgen, bis wir seine wirklichen Mörder gefunden

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