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Der freundliche Mr Crippen | Roman

Der freundliche Mr Crippen | Roman

Titel: Der freundliche Mr Crippen | Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Boyne
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der schrecklichste Mensch auf Erden war, rechtfertigt das kein so grausames Ende.«
    »Natürlich nicht. Ich sage ja nur, dass eine böse Tat jemanden nicht automatisch zu einem Ungeheuer macht. Wir mochten Dr. Crippen – oder Mr Robinson, wie immer du ihn nennen willst –, und wir sollten nicht gleich annehmen, dass wir unrecht damit hatten, nur wegen dieser Sache.«
    »Du bist ein sehr nachsichtiger Mann, Matthieu«, sagte Martha mit einem warmen Lächeln.
    »Nun,
mir
hat er nichts getan«, antwortete Zéla mit einem Schulterzucken, »also kann ich ihn auch nicht verurteilen.«
    »Aber ich«, sagte Tom DuMarqué, der ein paar Schritte entfernt stand, ihnen zuhörte und an die Ereignisse jenes späten Abends an Bord der
Montrose
dachte. »Ich bin froh, wenn er hängt. Schließlich hätte ich gut sein nächstes Opfer sein können.«
    »Na ja, wahrscheinlich hättest du es verdient gehabt«, sagte Matthieu.
    »Er wollte mich über Bord werfen! Er wollte mich ertränken!«
    »Nur, weil du seinen … seinen …«, Matthieu suchte nach den richtigen Worten, »… Edmund. Ethel. Seine Freundin«, sagte er endlich und wusste im Moment nicht weiter.
    »Seine Verlobte«, sagte Martha.
    »Das ist so krank und verdreht«, sagte Tom, der immer noch nicht darüber hinwegkam, dass es ihm nicht gelungen war, Victoria Drake auch nur zu küssen, was diese Ethel LeNeve, eine
Frau,
geschafft hatte. Das war seinem Selbstbewusstsein nicht zuträglich. »Ich hoffe, sie veröffentlichen Fotos von seiner Hinrichtung. Die hänge ich mir an die Wand.«
    »Bitte, Tom«, sagte Martha. »Wie kannst du nur so gefühllos sein?«
    »Er stammt von einer ganzen Reihe gefühlloser Männer ab«, sagte Matthieu und sah seinen Neffen mit kaum verhohlener Ablehnung an. »Ich glaube, nur meine Seite der Familie ist von ihren Genen verschont worden«, sagte er.
    »Na klar«, sagte Tom. »Du bist wunderbar. Du hättest mich ertrinken lassen. Das ist äußerst ehrbar.«
    »Aber das habe ich nicht, oder?«
    »Du hättest es zugelassen«, wiederholte Tom gereizt.
    Matthieu zuckte mit den Schultern. »Das ist genau das, was ich meine«, sagte er. »Wir wissen nicht, wozu wir fähig sind. Es kommt auf die Situation an. Und den Mann. Oder die Frau, die so tut, als wäre sie einer. Im Namen der Liebe sind wir zu den merkwürdigsten Dingen fähig.«
     
    In New York freuten sich zwei weitere Menschen auf das Urteil. Mrs Antoinette Drake und ihre Tochter Victoria beendeten ihre viermonatige Reise nach Nordamerika mit einem zweiwöchigen Aufenthalt in Manhattan, wo Mrs Drake alle, die ihren Geschichten zuhören wollten, an ihrem detaillierten Wissen über den schrecklichen Dr. Crippen teilhaben ließ.
    »Der Mann war wie besessen von mir«, sagte sie Freunden bei einer Abendgesellschaft. »Überallhin ist er mir gefolgt. Ich glaube, er sah bereits sein nächstes Opfer in mir, und was Victoria betrifft, nun, hinter ihr war dieser üble Kerl, dieser Edmund, her. Oder Ethel, wie er jetzt genannt werden will. Diese ganze Sache ist äußerst schändlich.«
    Victoria hörte kaum zu. Jemand unter den Gästen hatte ihre Aufmerksamkeit auf sich gezogen, und sie vermochte kaum den Blick abzuwenden. Natürlich hatte sie die Erkenntnis, dass Edmund tatsächlich eine Frau war, zunächst schockiert. Es war ihr peinlich, wie sehr sie ihm an Bord des Schiffes nachgestellt hatte, und wenn sie an einige ihrer Gespräche dachte, konnte sie vor Beschämung nur rot werden. Und doch, je länger sie darüber nachdachte, desto mehr musste sie sich selbst eingestehen, dass sie sich noch nie so sehr zu jemandem hingezogen gefühlt hatte wie zu ihm, also ihr. Die Erinnerung an jenen Kuss hinter den Rettungsbooten in jener schrecklichen Nacht der Gewalt war fest in ihrem Kopf verankert. Niemand hatte sie jemals so geküsst, weder vorher noch nachher. Nichts ließ sie so erschaudern wie das Gefühl von Ethel LeNeves Fingern auf ihrer Haut.
    »Wirklich, Victoria«, sagte Mrs Drake später an diesem Abend, als sie in ihr Hotelzimmer zurückkamen. »Du warst heute Abend so abgelenkt. Was war nur mit dir?«
    »Nichts«, antwortete sie mit verträumter Stimme, mit den Gedanken immer noch anderswo.
    »Und wie du die junge Miss Hartford angesehen hast. Ich gebe ja zu, sie ist ein hübsches Mädchen, aber warum um alles in der Welt musstest du sie so anstarren?«
    »Ich habe niemanden angestarrt«, protestierte Victoria. »Ich habe mich nur für ihre Unterhaltung interessiert. Sie scheint

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