Der Friseur und die Kanzlerin
ergötzende Episoden erzählt hatte, verfolgte mich Dr. Sugrañes zur Krönung seiner Darlegungen mit einem Klistier durch die ganze Aula.
Am Ende dieses stark beklatschten Teils des akademischen Akts wurde der frischgebackene Doktor honoris causa von anmutigen Masteranwärterinnen mit Rosenblättern beworfen und ich ins Kabäuschen zu meinen Kleidern zurückgeführt. Zu meiner größten Überraschung traf ich hier auf einen ehemaligen Sanatoriumskollegen, den ich seit Jahren nicht mehr gesehen hatte, dessen Bild ich aber unauslöschlich in mir trug: Romulus der Schöne.
Als ich in die oben erwähnte medizinische Strafanstalt eingeliefert wurde, befand sich Romulus der Schöne schon etwas über ein halbes Jahr dort und hatte bereits den Respekt der anderen Internierten gewonnen und sich die Feindschaft von Dr. Sugrañes eingehandelt. Ich handelte mir bald letztere ein und gewann niemals erstere. Romulus war jung und hatte sehr gefällige Züge – er sah dem damals auf dem Gipfel seiner Kunst und Schönheit stehenden Tony Curtis außerordentlich ähnlich. Tony Curtis zu gleichen kann positiv oder negativ sein, je nachdem. In einer Irrenanstalt indessen ist es nicht von Belang, doch Romulus hatte nicht nur ein hübsches Gesicht und eine athletische Konstitution, sondern auch ein elegantes Auftreten, ein sanftes Benehmen, er war intelligent und äußerst diskret. Von seinem Vorleben wusste niemand etwas, aber die Gerüchte schrieben ihm unglaubliche Missetaten zu. Anfänglich mied er meine Gesellschaft, und ich suchte nicht die seine. Eines Nachmittags versuchte Luis Mariano Moreno Barracuda, ein Ganove aus dem Saal B, der sich als der Zorro, Tschu En-lai und die Espasa-Enzyklopädie ausgab, ohne dass diese Zuschreibungen oder gar ihre Häufung irgendwie gerechtfertigt gewesen wären, mir mein Vesperbrot zu stibitzen. Wir beschimpften uns, und wegen eines Kantens Brot verpasste mir der andere eine Tracht Prügel. Romulus der Schöne mischte sich ein, um Frieden zu stiften. Nach der Friedenstiftung hatte Luis Mariano Moreno Barracuda einen gebrochenen Arm, ein halbes Ohr weniger und Nasenbluten. Wir wurden beide in die Strafzelle gesteckt und Barracuda ins Krankenzimmer, das er in der Überzeugung verließ, außer den obengenannten auch Jessye Norman zu sein. Unterwegs zur Zelle flüsterte mir Romulus zu: Homo homini lupus . Ich dachte, er erteile mir die Absolution. So was kann in einem Irrenhaus schon mal vorkommen. Später erfuhr ich, dass er ein belesener Mann war. Das Eingeschlossensein und die damit verbundenen Kaltwassergüsse zeitigten eine nachhaltige Freundschaft zwischen uns. Trotz des Unterschieds in Charakter und Bildung verband uns der Umstand, dass wir uns beide aufgrund gerichtlicher Willkür hinter Schloss und Riegel befanden. Zu jener Zeit war Romulus mit einer Schönheit verheiratet, die ihn oft besuchte und ihm Lebensmittel, Zigaretten (früher wurde noch geraucht), Bücher und Zeitschriften mitbrachte. Essen und Zeitschriften teilte er mit mir im Wissen, dass er nicht mit einer Gegenleistung rechnen durfte – mich besuchte keiner. Als er einmal grundlos und aus purer Aversion eines Vergehens beschuldigt wurde, leistete ich Bürgschaft für sein gutes Benehmen. Das trug uns erneut die Strafzelle ein. Die Übereiltheit, mit der man uns aus dem Sanatorium entließ, und das geringe Interesse aller, den Aufenthalt daselbst zu verlängern, verwehrten uns ein Abschiednehmen, wie es unter Kameraden geboten gewesen wäre. Als wir uns zum letzten Mal gesehen hatten, waren wir in Unterhosen. Jetzt, viele Jahre später, trafen wir uns wieder, und ich war immer noch in Unterhosen. Er dagegen trug einen gutgeschnittenen Anzug aus blauem Tuch, eine gestreifte Krawatte, einen waldgrünen Lodenmantel und blankgewienerte Mokassins. Auch sein gefälliges Aussehen hatte er nicht eingebüßt, ja, er glich immer noch Tony Curtis, doch genau wie diesem merkte man auch ihm die Anstrengung an, so zu bleiben, wie er war.
Wir verschmolzen in herzlicher Umarmung, und dabei glitt sein Toupet zu Boden. Nach diesem peinlichen Augenblick und der Mitteilung, er sei als Ersatzmann zur Investiturzeremonie geladen worden, erkundigte er sich nach meinem Ergehen, seit wir uns zum letzten Mal gesehen hätten. Bevor ich antwortete, fragte ich rein höflichkeitshalber nach seinem Ergehen. Da ich mittlerweile fertig angezogen war, seufzte er und sagte:
«Ach, mein Freund, meine Geschichte lässt sich nicht in einigen Minuten
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