Der frühe Vogel kann mich mal: Ein Lob der Langschläfer (German Edition)
schwedischen Botaniker Carl von Linné gelang es vor etwa 250 Jahren auf Grundlage dieser Beobachtung sogar, eine Blumenuhr zu entwickeln, bei der nur ein Blick in den Garten genügte, um die Uhrzeit zu erkennen. War das Gelbe Johanniskraut noch verschlossen, hatte aber die Weiße Seerose bereits ihre Blüten aufgefächert, musste es sechs Uhr sein. Machte die Rote Bibernelle dicht, war es zwei Uhr und damit Zeit für die Mittagsruhe. Öffnete die nachtaktive Nachtkerze abends ihr Blätter, war das für Linné ein Zeichen, seinen Schreibtisch aufzuräumen und den Feierabend zu genießen, da es halb sechs war. [14]
Aber nicht nur das Leben von Pflanzen wird nach einer inneren Uhr getimt, auch andere Lebewesen richten ihr Dasein nach dem Rhythmus eines Bio-Zeitmessers aus. Die Zoologen J.J.Galbraith und Sutherland Simpson fanden Anfang des 20. Jahrhunderts heraus, dass eine vorgegebene Regulierung der Körpertemperatur das Verhalten von Affen taktet. Der US-Biologe Curt Richter stellte in den 1960ern fest, dass Ratten (auch in völliger Abgeschlossenheit von der Außenwelt und natürlichen Lichtquellen) zur immer selben Zeit aktiv werden. Maynard Johnson konnte die gleiche Beobachtung bei Mäusen machen. Und der Biologe Klaus Hoffmann entdeckte, dass Eidechsen, auch wenn sie unter künstlichen Bedingungen gehalten und niemals in ihrem Leben Tageslicht ausgesetzt werden, einen inneren Zeitmesser haben, der ihr Leben regelt.
Die Existenz einer inneren Uhr galt nach einer Vielzahl solcher Experimente im 20. Jahrhundert als wissenschaftlich gesichert. Im Jahre 1960 formierte sich sogar die erste internationale Konferenz mit dem Titel »Biological Clocks« in Cold Spring Harbor (New York), auf der sich internationale Forscher über die Existenz und die Wirkung von sogenannten chronobiologischen Rhythmen austauschten. Nur eine Frage blieb offen: Wird auch der Mensch von diesen Rhythmen gesteuert? Und wenn ja, welche biologisch nachweisbaren Abläufe steuern ihn? Gibt es ein Organ, ein Gen, ein Hormon, das sagt: Nun ist es Zeit aufzustehen bzw. ins Bett zu gehen?
Um den menschlichen Biorhythmus unabhängig von äußeren Einflüssen wie Tag, Nacht, soziale Kontakte, Phasen der Aktivität und der Ruhe, Mahlzeiten usw. als Taktgeber zu erforschen, blieb den Forschern nur dieselbe Vorgehensweise wie bei den Tieren: Auch der Mensch musste ins Labor.
Der deutsche Physiologe Jürgen Aschoff und sein Kollege Rütger Wever waren die Ersten, die die Existenz von biologischen Rhythmen beim Menschen untersuchten. Sie schufen die in Fachkreisen berühmten Bunker im oberbayrischen Andechs. In der Nähe ihres Forschungssitzes richteten sie in einem Hügel zwei Appartements ein, die von der Außenwelt abgeschottet waren. Meterdicke Mauern sorgten dafür, dass weder Licht noch Schall von außen in das Innere des Bunkers drangen. Ein faradayscher Käfig leitete elektromagnetische Wellen ab. Massige Betonwände schützten vor Vibrationen. Ansonsten war der Bunker nur mit Mobiliar ausgestattet, das ein Gerichtsvollzieher nicht pfänden darf: Bett, Tisch, Stuhl, Schrank, und statt eines Fernsehgerätes gab es einen Heimtrainer. Eine Klimaanlage sorgte für konstant wohlige Temperaturen. Zugang gab es nur durch zwei aufeinander abgestimmte Schleusentüren, die nie zur gleichen Zeit geöffnet werden konnten, so dass die Personen, die an dem Experiment teilnahmen, durch keinerlei Einwirkungen von der Außenwelt beeinflusst werden konnten und auch Versuchsteilnehmer und Beobachter völlig voneinander abgeschirmt waren.
Jeden Tag mussten die Studienteilnehmer Tests absolvieren, Fragebögen ausfüllen, Tagebuch führen und Wunschzettel mit Bestellungen für den persönlichen Bedarf schreiben. Ein Knopf, den sie immer dann drücken mussten, wenn sie glaubten, dass eine Stunde herum war, sollte etwas über das persönliche Zeitempfinden verraten. Sie waren verpflichtet, Proben mit ihren Ausscheidungen abzugeben, in denen man den Gehalt bestimmter Spurenelemente wie Kalium oder Kalzium maß, die einen Rückschluss auf Stoffwechselrhythmen und Hormonpegel zuließen, die im Zusammenhang mit dem Wach- und Schlafwechsel stehen. Rektale Sonden maßen zudem das Ansteigen und Abfallen der Körpertemperatur, Elektrokontakte, die im Boden eingelassen waren, wie viel und ob sich die Versuchspersonen bewegten. Das Personal, das die Ausscheidungsproben abholte, war angehalten, zu unregelmäßigen Zeiten zu erscheinen, so dass die Bunkerbewohner keinerlei
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