Der frühe Vogel kann mich mal: Ein Lob der Langschläfer (German Edition)
Rückschlüsse daraus ziehen konnten, welche Stunde gerade draußen schlug.
Es gab weder zwitschernde Vögel noch klingelnde Wecker und auch keinen Nachbarn, aus dessen Küchenfenster morgens der Duft von frischem Kaffee wehte. An- oder abschwellender Verkehrslärm blieb aus, keine 20-Uhr-Nachrichten takteten das Leben, und auch keine Einladung von Freunden ließ darauf schließen, wie viel Uhr es gerade war. Der Bunker war ein Raum, in dem die Zeit still stand.
Eine Versuchsreihe dauerte zwischen sieben Tagen und mehreren Wochen. In dieser Zeit konnten die Probanden frei entscheiden, wann sie essen und schlafen, Sport treiben oder ruhen, lesen oder schreiben wollten.
Das Ergebnis: Alle Bunkerprobanden (zwischen 1964 und 1989 nahmen insgesamt 447 Personen an 412 Versuchsreihen teil) schliefen – wie in ihrem vertrauten Leben – etwa ein Drittel des Tages und blieben zwei Drittel des Tages wach und aktiv. Lief das Experiment über mehrere Wochen, verselbständigte sich die innere Uhr irgendwann: Manche verkürzten ihren Tag auf 18 Stunden, manche verlängerten ihn auf 33 Stunden – und blieben davon zwei Drittel der Zeit wach und schliefen das restliche Drittel. Das heißt, die innere Uhr lief bei den Probanden unterschiedlich schnell. Man vermutete, dass bei denjenigen, die einen kurzen Tag erlebten, die genetische Veranlagung zum Morgentyp durchbrach, und sich umgekehrt hinter denjenigen, deren innere Uhr langsam lief, Nachtmenschen verbargen, die einfach nicht Schluss machen und ins Bett gehen konnten, weil sie noch nicht müde waren. Der Großteil der Probanden pendelte sich jedoch auf einen 25-Stunden-Rhythmus ein. Die Forscher schlossen daraus, dass dies der natürliche innere Rhythmus des Menschen sei.
Die Veranlagung zum Morgenmuffel oder Frühaufsteher scheint also angeboren und durch eine innere Uhr vorgegeben zu sein. Ein 2008 durchgeführtes Experiment an der Berliner Charité bewies, wie prägend diese für den Menschen bis in jede Zelle des Körpers hinein ist. 28 Probanden, darunter bekennende Frühaufsteher wie Langschläfer, wurden unter der Leitung des Chronobiologen Achim Kramer [15] einem Test unterzogen, bei dem anhand winziger Hautplättchen die Aktivität jener Gene gemessen wurde, die von der inneren Uhr gesteuert und mit dieser synchronisiert werden. Diese Gene funktionieren – bei Mensch wie Tier – als körpereigene Taktgeber, kontrollieren, wann welche Hormone ausgeschüttet werden, die für den Schlaf, aber auch für Stoffwechselprozesse verantwortlich sind. Diese »genetischen Uhren« wiederum werden im Normalfall vom Gehirn aus zentral gesteuert, indem dieses äußere Signale wie Lichteinfall ins Auge in innere Informationen umsetzt. Die Forscher konnten das Verhalten der Gene durch ein sogenanntes »Glühwürmchenenzym« nach außen hin sichtbar machten. Waren die genetischen Taktgeber in den Zellen aktiv, leuchteten sie, waren sie inaktiv, war kein Leuchtsignal sichtbar.
Das Ergebnis war beeindruckend: Obwohl die Proben anonymisiert waren, war klar zu erkennen, welche von einem der elf Frühaufsteher oder einem der 17 Langschläfer stammte. Denn der Licht-an-Licht-aus-Takt lief bei den sogenannten Lerchen schneller, der Tag- und Nachtrhythmus war bereits vor Ablauf von 24 Stunden beendet. Bei den Eulen hingegen tickte diese innere Uhr langsamer, bei ihnen hatte der Tag an die 25 Stunden. Das hat für ihren Alltag die Folge, dass sie sich fühlen wie jemand, dessen Uhr nachgeht – sie verspäten sich ständig. Lerchen hingegen machen abends früh schlapp, weil ihre Uhr schon abgelaufen ist, und setzen mit einem ausgedehnten Nachtschlaf zu einem Neuanfang am nächsten Tag an.
Ob Eule oder Lerche ist sozusagen Schicksal und von Geburt an festgelegt. »Der Unterschied steckt in den Genen, die Chronotypen sind angeboren«, erklärt Kramer. »Ein Spättyp kann seine innere Uhr weder durch Lichttherapie noch durch die Gabe von Melatonin so umpolen, dass aus ihm plötzlich ein Morgenmensch wird.« [16]
Doch wie funktioniert die innere Uhr? Im Bunkerexperiment gab es Testpersonen, deren Wach-Schlaf-Rhythmus insgesamt 33 Stunden einnahm, anderen reichten 18 Stunden – und dennoch pendelte sich auch ihr Rhythmus im Alltagsleben wieder auf 24 Stunden ein. Wie schaffen es also die meisten Menschen, sich zumindest grob im Gleichklang mit den sozialen Gegebenheiten der Außenwelt zu arrangieren und auf Tag und Nacht einzurichten, auch wenn sie – wie die nachtaktiven Eulen – Probleme
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