Der frühe Vogel kann mich mal: Ein Lob der Langschläfer (German Edition)
etwa dem Arbeitsbeginn, weniger Probleme als Spättypen. Die Frage aber ist: Sind wir nicht alle aus dem Takt? In einer globalen Gesellschaft stören wir immer häufiger die optimale Übereinstimmung zwischen Innen- und Außenzeit. Nehmen wir die Fernflüge über mehrere Zeitzonen hinweg – sie verursachen Jetlag. Oder die Schichtarbeiter: 20 Prozent der arbeitenden Bevölkerung sind davon betroffen. Ihre innere Uhr und die äußeren Bedingungen sind völlig entkoppelt. Eine fehlerhafte Synchronisation führt dazu, dass die zeitlichen Abläufe des Körpers permanent nicht mit dem sozial bestimmten Verhalten übereinstimmen. Sie leiden unter chronischem Schlafmangel. Das kann dick machen, zu Magenerkrankungen, Diabetes und Depressionen führen. Und es kann Krebserkrankungen Vorschub leisten.«
Geht es Spättypen nicht genauso wie Schichtarbeitern?
»Ja, 60 Prozent der Bevölkerung leidet unter einem chronischen Schlafmangel, weil die Arbeitszeiten verlangen, dass sie früher aufstehen müssen, als ihre innere Uhr es vorgibt. Das macht sie auf die Dauer krank und beeinträchtigt ihre Leistungsfähigkeit. Ihnen wird das Ende des Schlafes weggenommen, das gerade wichtig für die Gedächtnisleistung ist. Spättypen sind erst am späten Vormittag richtig fit. Deshalb gelten sie als träge und faul. Aber das sind sie nicht. Es ist nur ihr genetischer Takt, der ihnen diese Zeiten vorgibt. Man sollte deshalb mehr Flexibilität bei den Arbeitszeiten zulassen. Denn wenn ein Arbeitgeber sagt: ›Ich komme lieber von 10 bis 18 Uhr statt von 8 bis 16 Uhr‹, dann sagt er nichts anderes als: ›Chef oder Chefin, ich gebe dir meine beste Zeit!‹ Darüber sollten Arbeitgeber nachdenken.«
Wieso ist der Anteil der Spättypen an der Gesamtbevölkerung so hoch?
»Wir sind zu wenig unter freiem Himmel und arbeiten zu viel in geschlossenen Räumen, und die Nächte machen wir mit elektrischem Licht hell. Selbst gut ausgeleuchtete Zimmer mit großen Fenstern haben ein bis zu 1000 Mal schwächeres Licht als Tageslicht. Der Zeitgeber Licht wird also immer schwächer, damit verlangsamt sich die innere Uhr, sie verstellt sich auf »später«. Das Problem ist, dass unsere sozialen Zeiten noch so gestaltet sind wie zu vorindustriellen Zeiten. Es kommt vermehrt zu sozialem Jetlag.«
Was ist ein sozialer Jetlag?
»Je weniger unsere Innenzeit mit der sozialen Außenzeit übereinstimmt, desto größer ist unser sozialer Jetlag. Das führt zu chronischem Schlafdefizit, das nur teilweise am Wochenende nachgeholt werden kann. Sozialer Jetlag entspricht vom Stressfaktor her einem Interkontinentalflug von Europa nach Amerika, zu dem man freitags abhebt und von dem man montags wieder zurückkehrt. Und das einmal pro Woche. Das bleibt nicht ohne gesundheitliche Konsequenzen.«
Kann man die innere Uhr stellen?
»Spättypen können ihre innere Uhr etwas mehr nach vorne stellen, indem sie gleich am Morgen nach draußen gehen und Licht tanken. Man kann etwa statt mit dem Auto mit dem Fahrrad zur Arbeit fahren oder ein Stück laufen. Abends dagegen sollten sie Licht meiden. Wer sich etwa im Sommer im Freien aufhält, setzt am besten eine Sonnenbrille auf. Wie gesagt: Licht am Morgen beschleunigt die innere Uhr, Licht am Abend verlangsamt sie. Da diese ›Lichttherapie‹ aber aus Spättypen keine Frühtypen macht und oft schwer durchzuhalten ist, ist eine Flexibilisierung der Arbeitszeiten viel effektiver. Eine Gesellschaft, die 24 Stunden am Tag an sieben Tagen der Woche funktionieren muss, aber immer noch in seiner Moral den Frühtypen fördert und favorisiert, ist schizophren. Denn von Arbeitszeiten, die individuell eingestellt sind, profitiert nicht nur der Arbeitnehmer, sondern auch der Arbeitgeber. Seine Angestellten sind zufriedener, kommen lieber zur Arbeit, fehlen nicht so oft krankheitsbedingt und sind insgesamt produktiver. Es gibt quasi nichts, was gegen diese Argumente spricht.«
Sie sind nicht allein!
Ob morgens munter oder Muffel – der Mensch tendiert mehr oder weniger stark in eine Richtung, was natürlich auch von den sozialen Zeiten abhängt. Läge der Arbeitsbeginn in vielen Firmen auf sieben Uhr morgens (wie etwa im äquatornahen Indonesien üblich), kämen auch mitteleuropäische Normallerchen in Schwierigkeiten, denn das könnte (bei unregelmäßiger Verkehrsanbindung und anderen Unwägbarkeiten) heißen, um fünf Uhr früh aufzustehen. Soviel freiwillige Aufgewecktheit aber ist auch in unseren Breitengraden eher selten. Denn im
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