Der Fruehling des Commissario Ricciardi
Lachen. Ein schönes, leidenschaftliches und lautes Lachen, das ihn schon von weitem ankündigte. Wer weiß, ob er ihn nicht sogardurch sein Lachen verloren hatte. Er würde es nie erfahren. Maione betrachtete seine Hand und dann seinen Arm: Er war braungebrannt und stämmig, fest und stark trotz seiner fünfzig Jahre.
Luca hatte ihm nicht geglichen, er war blond gewesen wie seine Mutter, und genau wie sie lachte er andauernd. Wie sie? Seit damals hatte Maione seine Lucia nicht mehr lachen hören. Natürlich ging das Leben weiter; wie hätte es auch stehen bleiben können mit fünf anderen Kindern, die noch aufzuziehen waren? Aber lachen? Fehlanzeige. An den Winterabenden, wenn die Jungs schliefen und die Zeit stillstand, war Luca gut gelaunt nach Hause gekommen, hatte seine Mutter umarmt und sie wie eine Puppe im Kreis gedreht; oder ihn geneckt und alten Schmerbauch genannt, er war so stolz gewesen in seiner neuen Polizeiuniform.
An diesem noch kalten Morgen brachte der Frühling dem Brigadiere den Geruch des Blutes seines Sohnes. Er erinnerte sich daran, wie der junge Kommissaranwärter Ricciardi, dieser Sonderling, mit dem niemand zusammenarbeiten wollte, sich allein mit der Leiche im Keller eingeschlossen hatte, fünf nicht enden wollende Minuten lang. Und er hatte ihm in zärtlichen Worten, die er nicht kennen konnte, die letzte Botschaft seines Sohnes überbracht, ihm dabei den Arm gedrückt und ihm fest in die Augen gesehen. Noch jetzt, nach drei Jahren, schauderte er vor Liebe und Schrecken.
Seit diesem Zeitpunkt war er dem Kommissar treu ergeben. Er erlaubte niemandem, schlecht über ihn zu sprechen oder sich über ihn lustig zu machen.
Er wachte auch über die besondere VorgehensweiseRicciardis, die darin bestand, dass der Kommissar den Ort des Verbrechens zunächst ganz allein in Augenschein nahm. Maione hielt alle anderen fern, während Ricciardi mental in das Geschehene eintauchte. Gelegentlich, aber nicht allzu oft, zog der Kommissar ihn auch ins Vertrauen und teilte ihm seine Gedanken zu den laufenden Ermittlungen mit. Dabei erahnte Maione trotz seines schlichten Gemüts manches, was in Ricciardi vorging. Jedes Mal war es, als ob das Verbrechen den Kommissar direkt anginge, sein eigener Schmerz sei, eine Schmach, die es zu rächen galt, ein erlittenes Unrecht, das wiedergutgemacht werden musste. Er war nicht wie die anderen, die des Geldes, der Karriere oder der Macht wegen ermittelten: Solche Typen waren Maione viele untergekommen. Ricciardi war anders.
An jenem Morgen dachte Maione daran, dass Ricciardi ja eigentlich kaum zehn Jahre älter als sein Luca war. Dennoch kam er ihm wie ein Hundertjähriger vor, und so einsam wie jemand, auf dem ein Fluch lastete.
Der Brigadiere schloss die Augenlider und strich sich mit der Hand über die gerade erst rasierte und schon wieder stoppelige Wange. Vielleicht war der Kommissar ja gerade wegen dieses Fluchs in der Lage gewesen, ihm die letzten Worte seines Sohnes zu überbringen. Schaudernd trat Maione zurück ins Haus. Es war Zeit, zur Arbeit zu gehen.
V
Sie hasste diesen Ort, und doch schaffte sie es nicht, es sein zu lassen. Sie hasste die Horde schreiender Kinder. Sie hasste die schmale, steile Treppe, die bis zumletzten Stockwerk führte, das zerlumpte Volk, dem man begegnete: die bettelarmen Hausbewohner und die Gäste, die ihr entgegenkamen und beschämt zur Seite traten, um sie vorbeizulassen.
Sie verstand das gut, denn auch sie schämte sich. Nicht, dass sie je in einem Bordell gewesen wäre, aber sie dachte sich, dass es wohl auch dort so sein musste: Wenn man erkannt wurde, lief man Gefahr, einen mühevoll erworbenen hochanständigen Ruf im Handumdrehen zu verlieren.
Und dann erst der Gestank. Es roch nach Knoblauch, ranzigem Essen und Urin. Überall schlug es ihr entgegen: auf der Straße, in der Eingangshalle, in der Wohnung. Hin und wieder brachte sie Blumen mit und die Alte vermutete wahrscheinlich, dass sie damit indirekt um einen Preisnachlass bitten wollte, aber Emma vergrub nur ihre Nase darin, um dem Gestank zu entfliehen. Freilich war die Frau alt, und alte Menschen haben sich nicht unter Kontrolle. Emma war glücklich darüber, jung zu sein, und beabsichtigte, es auch möglichst lange zu bleiben. Jung und schön und reich und begehrt. Und jetzt, da sie die wahre Liebe gefunden hatte, war das Leben noch schöner und die Zukunft ein heller Stern. Alle sagten das seit ein paar Jahren: Die Zukunft der Nation war vielversprechend.
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