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Der Fruehling des Commissario Ricciardi

Der Fruehling des Commissario Ricciardi

Titel: Der Fruehling des Commissario Ricciardi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maurizio de Giovanni
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teilgenommen: am Frühstück, am gemeinsamen Kirchenbesuch, an der Straßenbahnfahrt bis zur Piazza Vittoria. Da sie auch sonst nicht viel sprach, hatte sie ihren Kummer verbergen können. Ihre Mutter und sie konnten die Begeisterung des Vaters und der Geschwister für Sonntagsspaziergänge zwar akzeptieren, teilten sie aber ganz sicher nicht.
    Die Villa Nazionale, die sie eigentlich schön fand, erschien ihr an diesem Tag laut und gewöhnlich. Die Pferde der Carabinieri in Paradeuniform, die den Weg neben der baumgesäumten Allee entlangtrabten, waren genauso unruhig wie sie. Auch jetzt noch bereute sie ihr Verhalten während der Befragung im Präsidium, bereute, sich so anders gegeben zu haben, als sie in Wirklichkeit war.
    Während sie so spazierten – vorne die Eltern, dann Enrica mit ihren Brüdern und schließlich ihre Schwester,ihr Schwager und ihr kleiner Neffe in seinem Kinderwagen –, malte sie sich aus, zu altern ohne je eine eigene Familie und Kinder zu haben – und alles nur wegen ihrer Starrköpfigkeit. Aber sagte ihre Mutter nicht immer, die sei ihr größter Vorzug? Um sie herum erstrahlten blühende Bäume im Sonnenlicht, spielten Kinder mit ihren lustigen Tretautos und von einem Klavier erklang das Schlaflied »Duorme Carme’«. Das passt ja, dachte Enrica, wo ich heute Nacht kein Auge zugetan habe.
    Jenseits der Pinienwipfel hörte man das gemächliche Rauschen des ruhigen Meeres. Sie hielten an einem Stand mit Nüssen an, weil ihr Vater wie immer vorgab, den Bitten ihrer Geschwister nachzugeben, um das ein oder andere Tütchen für sich selbst zu kaufen. Sie liebte ihre Familie, aber heute war sie ihr unerträglich. Wie gerne hätte sie sich wieder in ihr Zimmer verkrochen. Sie gingen weiter in Richtung des Aquariums im zoologischen Teil des Parks, einer weiteren obligatorischen Etappe des sonntäglichen Ausflugs, wo sie die immer gleichen Seesterne anschauen und ihrem Vater zuliebe zum hundertsten Mal in laute »Ahs« und »Ohs« ausbrechen würden.
    Als sie an dem kleinen Tempel mit der Büste Virgils vorbeigingen und ihr Vater zum x-ten Mal von dessen magischen Taten erzählte, dachte sie verbittert, dass die Magierin, bei der sie gewesen war, ihr bestimmt nicht geholfen hatte – im Gegenteil. Doch dann schämte sie sich sofort, weil ihr das schlimme Ende der Frau in den Sinn kam.
    Ihr Blick traf einen Moment lang den eines Unbekannten, der sie dämlich angrinste. Sie sah schnell weg; in ihrem Kopf hatte nichts Platz, das keine Lösung für ihren unglücklichen Zustand bot.
    Allerdings kam der Mann ihr irgendwie bekannt vor. Bevor sie sein Bild aus ihrem Gedächtnis strich, fragte sie sich kurz, wo sie ihn schon einmal gesehen haben könnte.

    Doktor Modo hatte keinen Dienst, war aber, wie so oft, trotzdem im Krankenhaus. Ricciardi hatte ihm abends auf seine kühle, doch bewegte Art die Geschichte jenes Selbstmörders erzählt, und obwohl weder er noch der Kommissar je mit dem Mann gesprochen hatten, wollte Modo nachsehen, wie es ihm ging.
    Nun stand er im Arztkittel an seinem Bett, betrachtete ihn und fuhr sich nachdenklich mit der Hand durch die weißen Haare. Er sinnierte über die Macht der Träume.
    Wer sagt eigentlich, dachte der Doktor, dass Träume nichts mit der Wirklichkeit zu tun haben? Dir ging es gut, solange du nicht träumtest. Es gab gute und schlechte Zeiten in deinem Leben: Du hattest drei Kinder, hast sie im Arm gehalten, mit ihnen gespielt und gelacht. Mit deiner Arbeit hast du dafür gesorgt, dass sie immer genug zu essen hatten.
    Du warst deiner Frau stets nahe und in Liebe verbunden. In ihren Armen hast du ein kleines Stück Paradies gefunden. Bei Regen und Sonne warst du draußen, hast gesungen oder geweint, den ersten Blütenduft und den ersten Schnee gerochen. Hellen und dunklen Augen bist du begegnet, du hast Himmel und Mond gesehen. Manchmal hattest du Durst und niemand hat dir ein Glas Wasser abgeschlagen. Doch dann, dachte Modo, hast du zu träumen begonnen. Und von dem Tag an hat dein Glück dir nicht mehr gereicht, du hast beschlossen, den Gipfel zu erklimmen. Jetzt sag mir doch: Mal abgesehen von derMühe des Aufstiegs – wer hat dir weisgemacht, dass es dir oben besser gehen würde?
    Ungerührt und ohne eine Antwort zu erwarten, schlug der Doktor das Leintuch über Antonio Iodices Leiche.
    Der erste Frühlingssonntag war zu Ende.
XLIV
    Im Polizeipräsidium stieß Ricciardi als Erstes auf Sabatino Ponte. Er war ein kleiner, fahriger Mann, den

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