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Der Fruehling des Commissario Ricciardi

Der Fruehling des Commissario Ricciardi

Titel: Der Fruehling des Commissario Ricciardi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maurizio de Giovanni
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hereinströmende Luft kam vom Meer her; gewöhnlich lag auch ein Fäulnisgeruch darin. Er dachte an die Calise, an den Gestank in ihrer Wohnung. Zweimal war er dort gewesen: das erste Mal zum Verhandeln und das zweite Mal zum Bezahlen. Doch er hatte sie auch morgens getroffen, als sie ihn an der Universität abgepasst hatte, um noch mehr Geld zu verlangen. Er erinnerte sich an die krächzende Stimme der Frau, ihr Keuchen nach Art alter Leute; und doch war sie bei klarem Verstand – und wie klar! Er hatte ihr eine beträchtliche Summe geboten, sie hatte mehr verlangt und er war einverstanden gewesen – je eher er diesen schrecklichen Ort verlassen konnte, desto besser. Arme gierige, jämmerliche Frau.
    Als er wieder hingegangen war, wusste er, dass es das letzte Mal sein würde. Und dann all das Blut. Überall Blut. Nun, da er wieder daran dachte, erschien es ihm wie ein Albtraum, nichts weiter; er empfand kein Mitleid für diese Hexe.
    Vom nahen Meer her ertönte der Schrei einer Möwe. Auf der Straße war es leise; außer ein paar Frauen, die zur Messe gingen, war niemand zu sehen.
    Aus Gründlichkeit, um seine Höllenfahrt gewissermaßen perfekt zu machen, war er auch zu IHM gegangen. Er wollte ihn sehen, ihm ins Gesicht und in die Augen blicken. Seine Vermutung hatte sich bestätigt: Da war nichts als Leere in einer schönen Hülle. Auch eine neue Gewissheit hatte sich ihm offenbart.
    Mit traurigem Lächeln schloss er das Fenster.

    Attilio betrat die Villa Nazionale von der Torretta-Seite am Ende des Viale Regina Elena. Er spazierte gern gegen den Strom und wusste genau, dass die übliche Laufrichtung der Leute genau entgegengesetzt verlief, nämlich bei der Piazza Vittoria begann. Es gefiel ihm, Paare und Familien zu kreuzen, den Damen und Fräuleins flüchtige Blicke zuzuwerfen, ihnen schüchtern zuzulächeln und sich an ihrer Verwirrung zu laben.
    Ein alter Scherz, den er ganz für sich allein trieb: Er machte sich einen Spaß daraus, auf den Wangen unbekannter Frauen eine zarte Röte hervorzurufen und damit die Frustration des Mannes zu bewirken, der sie begleitete und sehr viel unscheinbarer war als der braungebrannte, athletische und gutgekleidete junge Kerl, dessen Lächeln sie nun leider nicht erwidern konnten, weil sie nicht alleinwaren. Attilio fühlte sich gut. Er genoss den Sonntag im Park, als er im Duft der Blumenbeete und des Meeres den breiten, sonnenüberfluteten Weg entlanglief.
    Er genoss auch das Wissen darum, dass am Ende alles gutgehen würde. Emmas Wahl konnte nur auf ihn fallen, dessen war er sich sicher: Jetzt sogar noch sicherer, nachdem er ihrem Mann ins Gesicht geschaut hatte, einem erschöpften, traurigen, gebrochenen Mann. Wie konnten da noch Zweifel bestehen? Romor sog den Geruch der Pinien und Steineichen am Wegesrand ein; er fühlte sich unbesiegbar.
    Er würde die Villa noch einige Male in ganzer Länge durchschreiten, den Frauen zulächeln und darauf achtgeben, den Kindern der Reichen auszuweichen, die in ihren furchtbaren Tretautos aus Holz oder Metall die Wege unsicher machten. Danach würde er in der Gegend um die Piedigrotta-Kirche Fisch essen gehen. Jetzt, da das Ende absehbar war, hatte es keinen Zweck mehr zu sparen, er konnte sich den ein oder anderen kleinen Luxus erlauben. Schluss mit den schwermütigen Sonntagen bei seiner Mutter! Er würde nicht mehr hingehen, es machte ihn traurig, und wenn er traurig war, fühlte er Zorn in sich aufsteigen.
    Mit einem Kopfschütteln versuchte er, seine trüben Gedanken und die unliebsame Erinnerung an die Stimme seiner Mutter mit ihren ständigen Ermahnungen zu verscheuchen. Heute war der erste Frühlingssonntag und er brauchte keine Wolken an seinem strahlenden Horizont. Eine Familie kam ihm entgegen: Ein älteres Ehepaar, eine Mutter mit Kind und ein paar Jugendliche; zu ihnen gehörte auch eine hochgewachsene junge Frau, die nichtauffallend schön, doch recht hübsch war. Er verlangsamte seinen Schritt, neigte den Kopf zur Seite und warf ihr einen schmachtenden Blick zu; er wusste, dass ihn das unwiderstehlich machte. Sie würdigte ihn jedoch keiner Reaktion und sah nach wie vor traurig aus, als ob sie einen Schmerz ausbrütete.
    Pech gehabt, dachte Attilio und zuckte mit den Schultern.
    Was kümmert’s mich, ob du traurig bist – wo mir die ganze Welt zu Füßen liegt.
XLIII
    Der Sonntag umgab Enrica, ohne sie zu berühren. Sie fühlte sich ausgegrenzt und einsamer denn je.
    Mechanisch hatte sie am Familienleben

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