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Der Frühling - Hyddenworld ; 1

Der Frühling - Hyddenworld ; 1

Titel: Der Frühling - Hyddenworld ; 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klett-Cotta Verlag
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damit sagen?«
    Jack hatte das Gefühl, dass er eher daran gewöhnt war als sie, offen zu sprechen. Wo er aufgewachsen war, bekam man nicht, was man wollte, wenn man es nicht geradeheraus sagte.
    »Ich hatte Angst, du kommst nicht, wenn ich dir erzähle, dass sie … Wahnvorstellungen hat. Sie sieht Dinge, die nicht da sind.«
    »Was für Dinge?«
    Sie holte tief Luft.
    »Kleine Leute.«
    »Zwerge?«
    »Nein, keine Zwerge. Kleine Leute eben. Könnte sein, dass sie mit dir darüber spricht – wer weiß. Mrs. Foale erzählt sie davon. Mir nicht, jedenfalls nicht direkt.«
    »Schon in Ordnung, Katherine, ich werde nicht peinlich berührt sein. Ich bin auch krank gewesen. Da spielt einem der Verstand manchmal Streiche. Hat
sie
gewollt, dass ich komme, oder hast du das nur erfunden?«
    »Natürlich hat sie es gewollt. Ich denke mir das doch nicht aus.«
    Er grinste, gelöster als sie.
    »Dann lass uns zu ihr gehen«, sagte er, »damit ich mir selbst ein Bild machen kann.« Sie wirkte erleichtert.
    Gut«, sagte sie. »Dann mal los …«

28
CLARE
    J ack war nie zuvor im Zimmer eines sterbenskranken Menschen gewesen, und es war ein Schock. Es kam ihm vor, als lauere dort im Schatten etwas mit dem Namen Tod.
    Jack kannte den Sensenmann aus seinen Computerspielen. Im wahren Leben wirkte er viel furchterregender. Außerdem stellte er fest, dass Clare, streng genommen, gar nicht in diesem Raum weilte, was die Situation noch sonderbarer und befremdlicher machte.
    Wochen zuvor, als sie so schwach geworden war, dass sie es nicht mehr die Treppe hinauf in ihr Zimmer schaffte, hatten sie auf ihre Bitte hin das Bett heruntergeholt und in den Wintergarten gestellt. Er war überheizt, erst recht, wenn die Sonne schien, aber die feuchte Luft erleichterte ihr das Atmen, und sie konnte die Tür offen lassen, ohne sich zu erkälten.
    Der Wintergarten war riesig, im viktorianischen Stil gehalten und vernachlässigt. Die schräge Glasdecke ruhte auf verrosteten, gusseisernen gotischen Pfeilern, an denen Wein emporrankte, der direkt aus dem Lehmfußboden spross und mit seinen Wurzeln die Fliesen rings um die Sockel sprengte.
    Überall standen Topfpflanzen und dazwischen, ganz in der Nähe der Flügeltür, die weit geöffnet war und auf eine marode Terrasse führte, Clares Bett.
    Dicke, aber noch kahle Wein- und Glyzinenranken und eine außer Kontrolle geratene Kletterrose überzogen außen die Scheiben des Wintergartens. In einer Ecke war die Glyzine durchgebrochen wie die Vorhut einer Invasionsarmee, sodass man den Eindruck bekam, der Garten versuche, das Haus zurückzuerobern.
    Der Garten selbst erstreckte sich in alle Richtungen und schien, von Jacks Standpunkt aus, weder Grenzen noch ein Ende zu haben. Hinter der Terrasse begann ein holpriger, schlecht gemähter Rasenmit ein paar Blumenbeeten, die früher einmal elegant gewirkt haben mochten, jetzt aber verlottert und von Unkraut überwuchert waren. Gut hundert Meter entfernt machte der »Rasen« Sträuchern und Bäumen Platz, die zur Hausseite hin von zwei riesigen Koniferen überragt wurden, deren dicke, gerade Stämme beinahe schwarz gegen den bewölkten Himmel abstachen.
    Sie sahen aus wie zwei dunkle Wächter, die das Tor zu einer Welt dahinter bewachten. Oder auch Clare Shore vor der Welt da draußen beschützten.
    Oder beides.
    Dahinter folgte, wie Jack zwischen den beiden Stämmen hindurch sehen konnte, wieder ein Rasenstück, das offenbar von weiteren Bäumen umringt war.
    Clare, die zwischen zerknitterten Laken und Decken und vielen, auf dem Bett verstreuten Kissen lag, erkannte er kaum wieder. Bei ihrer letzten Begegnung war er erst acht gewesen, und sie hatte noch reisen können. Sie hatte ihn im Krankenhaus in London besucht, in einem Rollstuhl, den Mrs. Foale geschoben hatte.
    Damals waren ihre Haare noch dunkelbraun gewesen, und trotz des Rollstuhls hatte er sie als eine Frau voller Leben und Energie in Erinnerung.
    Jetzt war ihr Haar grau und stumpf, ihre Haut bleich und eingefallen, und sie sah so klein und hinfällig aus, dass das Kissen, das ihren Kopf stützte, riesig wirkte.
    Dann aber, als sie ihn endlich bemerkte, begann sie zu lächeln, und ihre dunklen, immer noch leuchtenden Augen überstrahlten alles andere, und er erkannte sie wieder. Sein Herz tat einen Sprung, denn genauso hatte sie ihn immer bei ihren Besuchen angesehen, als erfülle es sie mit Freude, ihn zu sehen.
    »Hallo, Jack«, grüßte sie, hob mühsam die rechte Hand von der Decke und streckte sie

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