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Der Frühling - Hyddenworld ; 1

Der Frühling - Hyddenworld ; 1

Titel: Der Frühling - Hyddenworld ; 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klett-Cotta Verlag
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gestreckt, die Muskeln gespannt, auf der Wiese direkt neben ihnen wieder auf. Nur diesmal zu ihrer Linken! Das war eigenartig.
    »Es ist eine Stute«, sagte der Fahrer.
    Einige Augenblicke lang war ihnen das Tier so nahe, dass Jack es deutlich sehen konnte, die Augen und die zuckenden Nüstern, die lange Mähne und den Schweif, der hinter ihm im Wind wehte. Er bildete sich sogar ein, das Donnern der Hufe zu hören.
    Dann war es wieder verschwunden. Er hielt angestrengt nach ihm Ausschau, drehte den Kopf und spähte durch die Heckscheibe, doch die Sicht war versperrt, und er entdeckte es nicht mehr. Gleich darauf kamen sie in eine größere Ortschaft, und der Taxifahrer drosselte das Tempo.
    Fünfzehn Minuten später gelangten sie an die nächste Abzweigung und fuhren auf kleinen Landstraßen durch Berkshire.
    »Wir sind gleich da«, sagte der Fahrer. Der Wagen glitt zwischen zwei großen, blau gestrichenen Torpfosten durch, von denen Farbe abblätterte. Die Pfosten standen schief, und die Torflügel fehlten. Der mit Unkraut übersäte Schotter knirschte unter den Rädern, bis sie vor einem großen, heruntergekommenen Haus hielten.
    Jack stieg aus dem Taxi und blickte die fünf flachen Steinstufen zur zweiflügeligen Haustür hinauf. Im selben Moment schwang ein Flügel auf, und heraus trat Katherine. Sie sah ganz anders aus, als er sie in Erinnerung hatte.
    Sie war größer, trug das Haar länger, und sie war anders gekleidet als viele Londoner Mädchen, die er kannte: ohne jeden Schick, unauffällig, dezent.
    »Hallo, Jack«, rief sie mit einem leicht schiefen Lächeln und winkte etwas verlegen.
    Er ergriff seinen Rucksack, stieg die Stufen hinauf und gab ihr die Hand, wobei er vielleicht etwas zu heftig zudrückte. Die Mädchen in London umarmten sich und deuteten ein Küsschen auf die Wange an. Dieser förmliche Händedruck kam ihm irgendwie komisch, aber ehrlicher vor.
    Sie sahen einander an, beide nervös und beide vielleicht ein wenig enttäuscht. Jack war eine Idee kleiner, als sie ihn sich vorgestellt hatte, und sie war nicht so attraktiv, wie er erwartet hatte.
    Doch selbst in diesem ersten Moment der Befangenheit war es, als öffne sich langsam eine große alte Tür, die eingerostet war, weil sie lange niemand benutzt hatte.
    Ich habe ein weißes Pferd gesehen,
hätte er am liebsten gesagt oder sogar hinausgeschrien.
    Stattdessen betrachtete er sie nur schweigend, indem er auf die ihm eigene, eindringliche und irritierende Art ein wenig den Kopf vorschob. Sie betrachtete ihn ebenfalls. Die erste Enttäuschung der beiden wich beinahe sofort etwas anderem.
    »Was ist?«,
fragte sie schließlich, Neugier in der Stimme.
    »Irgendwie hatte ich dich mir anders vorgestellt – nicht so groß.«
    Was er eigentlich sagen wollte, überraschte ihn selbst:
Die Kleidung spielt keine Rolle, Katherine, denn deine Augen sind schön, und die Art, wie du dich bewegst und … und … aus irgendeinem Grund möchte ich mir sicher sein, dass dir nie jemand etwas zuleide tut.
    Katherine machte sich ihre eigenen Gedanken:
Du hast dich verändert, Jack. Du wirkst stärker und selbstbewusster, als würdest du deinen Platz im Leben kennen und dich nicht davor fürchten – das macht mir ein wenig Angst.
    Aber keiner von beiden sprach aus, was er dachte.
    »Komm, hier entlang«, sagte sie und spürte, dass sie etwas Starkes und Unberechenbares ins Haus ließ. »Äh … da runter«, wies sie ihm den Weg.
    Das dunkle Innere des Hauses umschloss ihn.
    »Ich habe ein weißes Pferd gesehen«, murmelte er und folgte diesem Mädchen, dessen Rücken und Hüften jetzt mehr die einer Frau waren.
    »Mum möchte dich begrüßen«, sagte Katherine über die Schulter. Sie hatte seine Bemerkung nicht gehört, und er wiederholte sie nicht.
    So setzten sie ihren gemeinsamen Gang durch das verwinkelte Haus fort, das zu lange Krankheit erfahren hatte und nun wieder bereit für neues Leben war.
    »Jack?«
    Sie war vor einer angelehnten Tür stehen geblieben. Er konnte sehen, dass sie in einen Wintergarten führte.
    »Jack, Mum ist nicht mehr ganz sie selbst … ich meine … da ist etwas, was ich dir nicht gesagt habe.«
    Er sah sie an, sagte nichts.
    Aus der Nähe bemerkte er, dass sie nervös war. Seinetwegen? Wegen der Situation? Er war selbst nervös.
    »Was?«
    »Mum spricht manchmal wirr und … na ja, sie hat starke Schmerzen. Die Medikamente trüben ihr Bewusstsein, und sie scheint Dinge zu sehen. Ich will damit sagen …«
    »Was willst du

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