Der Frühling - Hyddenworld ; 1
Er nahm für sie wieder greifbarere Gestalt an. Doch ihre seltsamen Träume von ihm mussten einstweilen Träume bleiben, wie die meisten ihrer Gedanken in Bezug auf das andere Geschlecht. Die meisten, aber, wie sich herausstellte, beileibe nicht alle.
Im Jahr zuvor hatte sie im Gemeindesaal der Kirche, in der Mrs. Foale als Diakonin tätig war, eine Weihnachtsfeier besucht. Die Veranstaltung entpuppte sich als eine Art Dorffest, zu dem die unterschiedlichsten Leute kamen. Irgendwann im Lauf des Abends tanzte sie eng mit einem gutaussehenden Jungen, und wie das so geht, küssten sie sich, dem guten alten Brauch folgend, draußen in Kälte und Dunkelheit unter dem Mistelzweig. Sie machte sich los, wie es in ihrer Vorstellung eine geschändete Heldin hätte tun können, und begann zu lachen. Er lachte mit.
»Ich habe das nur als Mutprobe gemacht«, gestand er grinsend.
Als sie das hörte, erkannte sie zu ihrer Überraschung, dass dasselbe auch auf sie zutraf.
Danach verstand sie sich ganz gut mit ihm, und es hielt ein paar Wochen an, bis in den Februar hinein. Es war gar nicht so übel, ja sogar aufregend. Nur dass er kleiner war als sie und bei ihr nicht die starken Gefühle entfachte, die, wie sie annahm, da sein müssten, wenn er der »Richtige« wäre.
So war der Junge aus dem Dorf letzten Endes doch eine Enttäuschung, obwohl sie seine Hände wandern ließ, bis ein Punkt kam, an dem er etwas grob wurde und ebenso wenig wusste, was er tat, wie sie. Doch wenigstens hatte er Humor, und sie lachten reuevoll miteinander und waren sich darin einig, dass es so toll nun auch wieder nicht war. Doch es blieb ihr Geheimnis. Niemand sollte davon erfahren.
Dann fand er eine andere, die williger war, und blieb weg, und sie war erleichtert, dass es vorbei war. Es war eine Reise ins Unbekannte, die für sie nur so weit ging, dass sie jederzeit unbeschadet umkehren konnte. Aber sie wusste, dass sie mehr von dem wollte, was ihre Träume und Fantasien ihr zeigten – was auch immer es war.
Sam erfuhr von ihr alle Einzelheiten und berichtete ausführlich von ihren eigenen Erfahrungen. Es waren nicht sehr viele für zwei sechzehnjährige Mädchen im einundzwanzigsten Jahrhundert.
Dann änderte sich alles. Arthur Foale, erst seit kurzem von einer seiner geheimnisvollen Reisen zurück, verschwand erneut. Diesmal ohne Vorwarnung und ohne ein Wort zu sagen, sodass sich selbst Margaret Foale Sorgen machte, obwohl sie die unstete Lebensweise ihres Mannes gewohnt war.
Dann verschlechterte sich auch noch der Zustand von Katherines Mutter rapide. Und als Clare den Wunsch äußerte, Jack solle kommen und bei ihnen wohnen, hatte Katherine endlich den Vorwand, den sie brauchte, um ihn anzurufen.
Erst als sie zu reden anfingen, wurde ihr klar, wie sehr sie sich danach sehnte, ihn wiederzusehen.
Heute war der Tag, und Katherine saß in ihrem Zimmer, schaute aus dem Fenster und dachte über einen letzten Punkt nach, der ihr noch Kopfzerbrechen bereitete. Er betraf sein Schlafzimmer, das herzurichten laut Mrs. Foale ihre Aufgabe sei. Das war ihr dann doch zu intim.
In Woolstone House übernachteten nur selten Gäste, und wenn, dann waren es gewöhnlich keine Männer oder … Jack.
So hatte sich Katherine in einem Anfall von Panik für die cremefarbene und gegen die rosa Bettwäsche entschieden und das Bild an der Wand zweimal ausgetauscht und schließlich ein Seestück aufgehängt.
Als sie an nichts anderes mehr denken konnte, ging sie nach unten und hinaus in den Garten.
»Katherine, bist du das?«
»Ja, Mum.«
»Wo willst du denn hin? Es ist kalt.«
»Ich gehe nur in den Garten.«
Mrs. Foale, die Clare rufen hörte, kam nachsehen, ob sie etwas brauchte, und fand sie weinend vor.
»Was haben Sie denn, meine Liebe?«, fragte sie und nahm sie sanft in den Arm. Sie wusste, dass die Ärmste fast ständig unter Schmerzen litt, obwohl sie selten klagte, und dass schon Kleinigkeiten sie aus der Fassung brachten. Wie etwa, wenn ihre Tochter nicht stehen blieb und Hallo sagte, bevor sie hinausging.
»Es ist wegen Katherine«, flüsterte Clare. »Was macht sie denn da draußen?«
Mrs. Foale ging zur Tür des Wintergartens und beobachtete, wie Katherine in dem großen Garten umherwanderte, von Zeit zu Zeit stehen blieb, sich bückte, schaute und dann sorgfältig eine Wahl traf. »Ich glaube, sie sucht etwas für Jacks Nachttisch.«
»Was denn?«
»Frühlingsblumen.«
27
DAS WEISSE PFERD
D as nenne ich einen Ausblick!«, rief
Weitere Kostenlose Bücher